Jahrespreise

Einmal jährlich trifft sich der Jahresausschuss des PdSK e.V., um zehn Jahrespreise für die besten Produktionen des zurückliegenden Jahres zu bestimmen. Im Jahresausschuss arbeiten zehn Jurorinnen und Juroren aus verschiedenen Fachjurys zusammen. Die Besetzung des Jahresausschusses rotiert. Die Nominierungen für evtl. Jahrespreise obliegen der Gesamtheit aller Jurorinnen und Juroren. Jahrespreise werden im Rahmen öffentlicher Konzertauftritte oder Literaturlesungen (im Bereich Wortkunst) an die Preisträger verliehen. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jedem Preisträgerjahrgang hinterlegt.

Jahrespreise

Andrew Manze & NDR Radiophilharmonie

Felix Mendelssohn Bartholdy: Symphonien Nr.1 c-moll op.11 & Nr.3 a-moll op.56 (»Schottische«). NDR Radiophilharmonie, Andrew Manze. Pentatone PTC 5186595 (Naxos)

Es soll eine Serie mit sämtlichen Mendelssohn-Symphonien daraus werden; und wenn die nachfolgenden Einspielungen so vollkommen gelingen wie diese erste, hat Andrew Manze mit seiner NDR Radiophilharmonie beste Chancen, eine neue Referenzaufnahme zu platzieren. Sein traumwandlerisch sicheres Stilempfinden, das energetische, zwischen spontaner Frische und intellektuellem Anspruch ausbalancierte Musizieren sowie seine in umfassender Fachkompetenz gründenden Interpretationsideen zeichnen diese Aufnahme aus. Manzes Herkunft aus der historisch informierten Aufführungspraxis verbindet sich hier glücklich mit den Qualitäten eines Rundfunk-Klangkörpers. Die klare, den musikalischen Fluss unterstützende Artikulation und die konturscharfe Dynamik kommen mit der hervorragenden Aufnahmetechnik im Surround-Verfahren eindrucksvoll zur Geltung. Für den Jahresausschuss: Sabine Fallenstein

Der Jahrespreis wurde am 29. April 2018 im Rahmen eines Konzerts in Großen Sendesaal des NDR in Hannover verliehen.

Alina Ibragimova & Cédric Tiberghien

Wolfgang Amadeus Mozart: Sonaten für Klavier und Violine Vol. 1-4. Alina Ibragimova, Cédric Tiberghien. Hyperion CDA 68091/92, 68143, 68164 (Note 1)

Die Dramaturgie dieser Einspielungen schärft den Blick: Ihrer Gesamtaufnahme von Mozarts vierunddreißig Violinsonaten plus Variationen, Einzelsätzen und Fragmenten haben Cédric Tiberghien und Alina Ibragimova den Wechsel zwischen frühen und späteren Werken derart einkomponiert, dass man den Aufbruch in den Kindheitsstücken (Klaviersonaten mit freundlichen Geigentupfern) ebenso hört wie verspielte Reste des Rokokos in den Sonaten des Erwachsenen, in denen beide Instrumente nahezu auf Augenhöhe agieren. Zu erleben ist ein kammermusikalischer Dialog, der extrem wach ist, dicht und lebendig. Die tragenden Säulen des Miteinanders sind Einfachheit und Präzision. Manchmal blinzelt Buffo-Witz durch die Noten hindurch. Tiberghien lässt das Klavier singen, Ibragimova formt delikate Klangfarben, und so glänzen die Ecksätze durch Federleichtigkeit, und etliche langsame Sätze bezaubern durch eine Eigenschaft, die im Höher-Schneller-Weiter-Impetus sonst zuweilen verlorengeht: Innigkeit. Für den Jahresausschuss: Susanne Benda

Der Jahrespreis wurde am 6. Januar 2018 im Rahmen eines Konzerts in Pierre-Boulez-Saal in Berlin verliehen.

Schumann Quartett

»Landscapes«. Joseph Haydn: Quartett B-Dur op.76,4 (Der Sonnenaufgang); Béla Bartok: 2. Streichquartett; Tōru Takemitsu: Landscape I for string quartet; Arvo Pärt: Fratres. Schumann Quartett. Berlin Classics 0300836BC (edel)

Die altehrwürdige, doch selbst in der zeitgenössischen Musik noch immer frische Gattung Streichquartett hat in den letzten Jahren durch viele hervorragende junge Ensembles neuen Aufschwung genommen. Die Konkurrenz ist groß. Gerade darum sollte man man bei dieser programmatisch wie interpretatorisch beeindruckenden Einspielung des Schumann Quartetts unbedingt die Ohren spitzen: ein Haydn, der im Adagio berührt und im Finale die Funken sprühen lässt! Ein Bartók, bei dem Modernität und anhaltende Kraft der Klänge zum Vorschein kommen! Eine instruktive Ergänzung dazu bilden die flächtig angelegten Partituren von Tōru Takemitsu und Arvo Pärt. All diese Kompositionen spielen die vier jungen Musiker mit Tiefenschärfe und einer furiosen, beglückend risikoreichen Virtuosität sowie einer musikalischen Intensität, für die es nur eine passende Redewendung gibt: Sie sitzen an der vordersten Stuhlkante. Für den Jahresausschuss: Michael Kube

Daniil Trifonov

»Transcendental«. Franz Liszt: 12 Études d’exécution transcendante, Études de Concert 1-3, Grand Études de Paganini 1-6. Daniil Trifonov. 2 CDs, Deutsche Grammophon 479 5529 (Universal)

Den TV-Mitschnitt der zwölf großen Etüden aus Lyon in unauslöschlicher Erinnerung, zeigt Daniil Trifonov in seiner Studio-Version erneut, wie man mit Intelligenz, Unerschrockenheit und zuweilen geradezu demütiger Umsicht die Lisztschen Etüdenschöpfungen ins Leben bringen kann, ohne musisch-bildhaft zu werden. Es gelingt vielmehr diesem pianistischen Spürhund, den technisch grenzüberschreitend anspruchsvollen »Über-Etüden« Takt für Takt neue klangliche und farbliche Qualitäten zu sichern. Nach György Cziffra und Lazar Berman handelt es sich hier, da bin ich sicher, um die erste Gesamtaufnahme der »Transcendentalen« in überragender technischer Ungebundenheit und gestalterischer Individualität, bis hin in die wundersamen Etüden-Bezirke von Gnomen- und Waldesrauschenartistik, von Campanella-Mechanik und Seufzer-Vibrationen. Für den Jahresausschuss: Peter Cossé

Der Jahrespreis wurde am 22. November 2017 im Rahmen eines Konzerts in Hamburg an Daniil Trifonov verliehen.

Diana Damrau

»Grand Opéra«. Giacomo Meyerbeer: Arien und Szenen aus Le Prophète, Robert le Diable, L’Africaine, Les Huguenots, Il Crociato in Egitto, L’Étoile du Nord, Alimelek oder die beiden Kalifen, Le Pardon de Ploërmel, Emma di Resburgo, Ein Feldlager in Schlesien. Diana Damrau, Charles Workman, Laurent Naouri, Kate Aldrich, Joanna Curelaru, Orchester und Chor der Nationaloper Lyon, Emmanuel Villaume. Erato 0190 2958 48996 (Warner)

Man lasse sich vom Titel nicht in die Irre führen! Diese brillante Hommage an Giacomo Meyerbeer rückt keineswegs nur den Meister der Pariser Grand Opéra ins Licht, sondern auch den stilistisch polyglotten Europäer, der die Opéra Comique ebenso beherrschte wie die italienische Cavatine oder das deutsche Singspiel. Souverän, koloraturfunkelnd und textsicher in drei Sprachen, dazu farbensatt, mit einer wissenden Empathie für die Figuren fächert Diana Damrau elf Glanzstücke aus mehr als fünf Jahrzehnten auf – von »Alimelek«, komponiert 1813, bis zur »L’Africaine« von 1865 spannt sie den Bogen. Emmanuel Villaume sowie Orchester und Chor der Opéra National de Lyon machen das Glück perfekt. Eine unwiderstehliche Verführung. Für den Jahresausschuss: Albrecht Thiemann

Der Jahrespreis wurde am 30. Mai 2018 im Rahmen einer Veranstaltung im Kulturkaufhaus Dussmann in Berlin verliehen.

Holger Falk, Steffen Schleiermacher

Hanns Eisler: Lieder Vol. 1. Songs und Balladen 1929-1937. Holger Falk, Steffen Schleiermacher. Musikproduktion Dabringhaus und Grimm MDG 613 2001-02

Rund fünfhundert Lieder hat Hanns Eisler hinterlassen: politische Songs, Balladen, Linkes und Lyrisches. Interpreten müssten Chamäleons sein, um der Vielfalt an Stilen und Stimmungen bei diesem Komponisten gerecht zu werden – und sie sollten nicht der gerade bei den Kampfliedern naheliegenden Plakativität aufsitzen. Beides gelingt dem Bariton Holger Falk und dem Pianisten Steffen Schleiermacher auf der ersten CD ihrer vierteiligen Eisler-Edition auf preiswürdige Weise. Falk verfügt über eine Fülle von unterschiedlichen Klangfarben, er deklamiert ungekünstelt, natürlich, mal agitierend, mal schlicht und zurückhaltend, und Schleiermacher als genialer Korrepetitor bringt außerdem bei den Brecht-Vertonungen mit kleinen Irritationen einen Schuss Dialektik ins Spiel. Das »Vorwärts, und nicht vergessen« des bekannten Solidaritätsliedes heutzutage so darzubieten, dass es den Hörer durchschüttelt: Das muss einem Lied-Duo erst einmal gelingen. Für den Jahresausschuss: Susanne Benda

Der Jahrespreis wurde am 25. März 2018 im Rahmen eines Sonderkonzertes im Hospitalhof Stuttgart und auf Einladung der Hugo-Wolf-Akademie verliehen.

Mirjam Wiesemann & Ingo Schmidt-Lucas

»Bernd Alois Zimmermann und das symphonische Spätwerk«. Edition Künster im Gespräch Vol. 8. Jan-Filip Tupa, Sascha Reckert, Philippe Marguerre, RSO Stuttgart, Bernhard Kontarsky, Elke Heidenreich, Mirjam Wiesemann, York Höller. Cybele KiG008 (Klassik Center)

Mit »Künstler im Gespräch« hat das Label Cybele in den letzten Jahren eine Serie geschaffen, die sich den üblichen Kriterien entzieht: Exemplarische Neueinspielungen paaren sich mit historischen Klangdokumenten, Interviews und bisweilen auch Literatur zu einem jeweils in sich geschlossenen Komponisten-Portrait voller Überraschungen. Dies gilt zumal für diese Produktion, die am Vorabend von Bernd Alois Zimmermanns hundertstem Geburtstag erschienen ist und nachdrücklich ein Ausrufungszeichen setzt für dessen Vorstellung, Vergangenheit und Zukunft in der musikalischen Gegenwart zu vereinen. Umgesetzt wird dies in geradezu herausragender Weise durch die klanglich wie an interpretatorischer Intensität Maßstäbe setzenden Interpretationen von Jan-Filip Tupa, Violoncello, und dem von Bernhard Kontarsky geleiteten Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR. Für den Jahresausschuss: Michael Kube

Der Jahrespreis wurde am 30. März 2018 in der Hochschule für Musik und Tanz Wuppertal verliehen.

Thomas Azier

Rouge. Virgin 602557422955 (Universal Music)

Was ist ein perfektes Popalbum? Schwierige Frage. Der junge Holländer Thomas Azier, Jahrgang 1987, kommt einer Antwort sehr nahe. Er hat als Songwriter ein untrügliches Gespür für Melodie und Timing. Nichts wirkt überflüssig, nichts zieht sich in die Länge. Als roter Faden hält sein Klavierspiel elegische Gesangsnummern und hymnischen Elektropop zusammen. Dabei scheut Azier in den zehn Tracks auf »Rouge« weder Melancholie noch Pathos noch Theatralik und balanciert virtuos auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Kunst. »Rouge« ist gespickt mit pulsierender Elektronik und unwiderstehlichen Mitsingrefrains. Die Klangqualität ist hervorragend: glasklar in den Höhen, kraftvoll in den Bässen. Perfekt. Für den Jahresausschuss: Manfred Gillig-Degrave

Der Jahrespreis wurde am 19. Juni 2018 im Berliner Studio von Thomas Azier überreicht.

Sampha

Process. XL Recordings 5578455 (Beggars Group)

Samphas musikalische Entwicklung wurde massiv geprägt vom Klavier, das sein Vater kaufte, als er drei Jahre alt war. Seine Brüder machten ihn mit einem breiten Musikspektrum vertraut, von Jazz über Pavarotti und die Strokes bis hin zum afrikanischen Wassoulou – alles Einflüsse, die sich in Samphas Musik finden. Obwohl »Process« das Debütalbum des 1988 geborenen Sampha Lahai Sisay ist, wirkte er als Sänger, Produzent und Komponist schon auf Werken von Drake, Beyoncé oder Kanye West mit. Auf »Process« verarbeitet Sampha euphorische Momente und schmerzhafte Erfahrungen wie den Verlust der Eltern, die beide an Krebs starben. Hier gibt es kein HipHop-R&B-Blingbling zu hören, sondern menschliche Emotionen, sprudelnde elektronische Beats, nachdenkliche Soulsongs am Klavier und Loops mit Streicherschnipseln, alles getragen von Samphas markanter außergewöhnlicher Falsettstimme. Für den Jahresausschuss: Jörg Wachsmuth

Nishtiman Project

Kobane, Kurdistan (Iran – Irak – Turquie). Accords Croisés AC 164 (harmonia mundi)

Musik kennt keine Grenzen! Mit dem Nishtiman Project erhält dieser Satz eine neue und nachdrückliche Bedeutung. Das sechsköpfige Ensemble um den Perkussionisten und musikalischen Leiter Hussein Sahawy und die Sängerin Donya Kamali befreit die Musik von den Länderfesseln, die politische Verhältnisse dem kurdischen Volk aufgezwungen haben. Die Klangfarben sind geprägt von Hackbrett (Santur), Kamancheh-Geige und Tanbur (Laute) und der erdigen Stimme Kamalis. Melancholisch und mitreißend, mit Stolz und Virtuosität werden traditionelle Lieder und Melodien aus dem Iran, Irak und der Türkei vorgetragen. Wegen des Bürgerkriegs fehlt zwar der syrische Aspekt des kurdischen Musikspektrums – das Titelstück rückt ihn dennoch mit Bezug auf die lange Zeit umkämpfte syrische Grenzstadt Kobane in den Fokus. Insgesamt ein höchst überzeugender musikalischer Beitrag für ein eigenständiges Kurdistan. Für den Jahresausschuss: Mike Kamp

Daniel Erdmann & Velvet Revolution

Daniel Erdmann’s Velvet Revolution: A Short Moment Of Zero G. Daniel Erdmann, Théo Ceccaldi, Jim Hart. Budapest Music Center BMC CD239 (Note 1)

Auf diesem Album weben der Saxofonist Daniel Erdmann und seine Mitstreiter im Trio Velvet Revolution ein filigranes Geflecht aus exakt geplanten Kompositionen und feinsinnig mit dem Material spielenden Improvisationen. Ähnlich weit gefächert ist die Ausdrucksskala der drei Musiker. So weckt Erdmanns Spiel Erinnerungen an den voluminösen Klang der Mainstream- Tenoristen wie auch an die rauen Sounds der Free-Ära. Das Spektrum des Geigers Théo Ceccaldi reicht von weichen Kantilenen bis zu rauem Kratzen, und der Vibraphonist Jim Hart steuert zarte Klangflächen und harte Impulse bei. Ein Hauch von coolem Swing und die Freude an pointillistischen Klangtupfern und unerwarteten Wendungen durchwehen die elf Stücke. Diese »samtene Revolution« erschafft, was der Albumtitel verspricht: kurze Momente der Schwerelosigkeit. Für den Jahresausschuss: Werner Stiefele

Der Jahrespreis wurde am 21. April 2018 im Rahmen der Jazzahead in Bremen überreicht.

Christoph Maria Herbst

Jochen Till: Luzifer Junior – Zu gut für die Hölle, gelesen von Christoph Maria Herbst. Der Audio Verlag ISBN 978-3-86231-970-1

Der Sohn des Teufels soll eines Tages die Nachfolge des Vaters antreten. In dessen Augen allerdings ist Luzifer Junior viel zu lieb. Damit er lernt, böse zu sein, wird er in ein irdisches Internat geschickt – denn von wem könnte man das Böse besser lernen als von Menschen? Doch so reibungslos wie gedacht funktioniert der teuflische Plan natürlich nicht. Juniors Internatsabenteuer, die nicht ohne Zaubereien abgehen, werden mit viel Komik geschildert, auch grundsätzliche Fragen nach Freundschaft und Feindschaft, Gut oder Böse berührt. Zum Hörgenuss wird die Geschichte durch Christoph Maria Herbst. Alle Figuren werden lebendig, dank seiner Stimme, jeder einzelnen verleiht er einen eigenen Charakter. Hier hat ein großartiger Vorleser mit seiner Kunst einem Buch zum zweiten Leben verholfen. Man hat sogar den Eindruck, Herbst selbst hatte jede Menge Spaß an der Sache. Für den Jahresausschuss: Margit Hähner

Der Jahrespreis konnte am 31. Juli 2019 am Filmset in Köln an Christoph Maria Herbst überreicht werden.

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