Bestenlisten
Mit einem Platz auf der Bestenliste werden vierteljährlich die besten und interessantesten Neuveröffentlichungen der vorangegangenen drei Monate ausgezeichnet. Bewertungskriterien sind künstlerische Qualität, Repertoirewert, Präsentation und Klangqualität. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jeder Bestenliste hinterlegt.
Orchestermusik und Konzerte
Mahler: Symphonie Nr. 9
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 9. Mahler Academy Orchestra, Philipp von Steinaecker. Alpha Classics 1057 (Naxos)
Wer hätte gedacht, dass eine Symphonie von Mahler klanglich noch einmal so viel Neues zu bieten hat? Dies liegt zunächst an dem hier verwendeten Instrumentarium, das den Stand um 1910 repräsentiert. Die Streicher klingen mit ihren Darmsaiten wärmer und seidiger, die Holzbläser in den extremen Lagen viel zerbrechlicher. Vor allem aber gehen die Instrumente und Register eine bis dahin unerhörte Mixtur ein, die je nach Orchestrierung Dissonanzen mal schärfer, mal weicher erscheinen lässt. Das Mahler Academy Orchestra aus Bozen unter der Leitung von Philipp von Steinaecker öffnet die Türen zu einer anderen Welt. Für die Jury: Michael Kube
Orchestermusik und Konzerte
Sibelius/Prokofjew: Violinkonzerte
Jean Sibelius: Violinkonzert d-Moll op. 47, Sergej Prokofjew: Violinkonzert D-Dur op. 19. Janine Jansen, Oslo Philharmonic Orchestra, Klaus Mäkelä. Decca 00028948547487 (Universal)
Janine Jansen ist eine technisch überaus brillante, expressive Geigerin mit markantem künstlerischem Profil, zu dem auch das Streben nach Ausdrucksextremen gehört. Im Violinkonzert von Sibelius und in Prokofiews Erstem Violinkonzert läuft sie zu Höchstform auf, gestaltet ihre Soli mit enormer Intensität und nie nachlassender Spannung. Unbedingter Gestaltungswille, Ideenreichtum und eine dynamisch und klangfarblich subtil abstufende Tongebung prägen diese Interpretation. Sie besitzt etwas Ereignishaftes, das zum Zuhören zwingt. Mit dem Oslo Philharmonic Orchestra und seinem Chefdirigenten Klaus Mäkelä hat die Solistin kongeniale Mitgestalter gefunden. Für die Jury: Norbert Hornig
Kammermusik
Klose/Bruckner: Streichquartette
Friedrich Klose: Streichquartett Es-Dur, Anton Bruckner: Streichquartett c-Moll, Rondo c-Moll, Thema mit Variationen Es-Dur. Quatuor Diotima. Pentatone PTC 5187 217 (Naxos)
Wem Bruckners Symphonien zu laut sind, der findet mit dieser CD zum 200. Geburtstag des Komponisten eine abgespeckte Lösung: dessen eigenes, eher nach Mendelssohn klingendes Streichquartett aus der Studienzeit. Bruckner fügte dem noch einen alternativen Schlusssatz bei, als schlüge er sich von Anfang an mit Fragen der Fassung herum. Sodann die diskografisch wie auch repertoiremäßig völlig vernachlässigte Hommage seines Schülers Friedrich Klose. Das fast 50-minütige Streichquartett von 1911 ist, in der lyrisch strömenden Wiedergabe des Diotima Quartetts, symphonischer Bruckner für die Kammer. Für die Jury: Lotte Thaler
Kammermusik
Balagan
Kammermusik für Klarinette, Violine, Klavier & Cello von Paul Schoenfield, Claude Vivier, Béla Bartók, Ernest Bloch, Eden Ahbez, Béla Kovács. Noa Wildschut, Pablo Barragán, Frank Dupree, Anton Spronk. accentus music ACC30643 (Naxos)
Diese CD spannt einen grandiosen Bogen und enthält mit dem Klarinettentrio von Paul Schoenfield ein überaus entdeckenswertes zentrales Werk, das mitreißender kaum interpretiert werden könnte. Noa Wildschut, Pablo Barragán und Frank Dupree loten tiefste Tiefen aus und fesseln durch größte Virtuosität. Der 2024 verstorbene Komponist verbindet Klassik, Jazz und Volksmusik zu einem faszinierenden Musikerlebnis. Werke von Bartók und Vivier sowie – in Arrangements – von Bloch, Ahbez und Kovács (mit Anton Spronk, Violoncello) vervollständigen dieses großartige Album. Für die Jury: Ludwig Hartmann
Tasteninstrumente
Desyatnikov: Trompe-l’œil ...
Leonid Desyatnikov: Trompe-l’œil, Franz Schubert: Divertissement à la Hongroise D 818, Fantasie f-Moll D 940. Pavel Kolesnikov, Samson Tsoy. harmonia mundi HMM 902716 (harmonia mundi/Bertus)
Eine ungewöhnliche Gegenüberstellung. Zwei Werke von Schubert umrahmen ein zeitgenössisches Werk mit Schubert-Bezügen: »Trompe-l’œil« von Leonid Desyatnikov. Den beiden Solisten merkt man ihre langjährige gemeinsame Erfahrung jederzeit an. Sie entwickeln aus einem gemeinsamen Atem einen klug aufgeteilten Klang, aus dem sich viele Details herauskristallisieren. Gerade die oberen Tonlagen erhalten einen leuchtenden Charakter. Doch nutzen die beiden Pianisten dafür keinen Flutlicht-Strahler, sondern vertrauen auf ein eher diskretes, andeutendes Illuminieren. Für die Jury: Christoph Vratz
Tasteninstrumente
Bach: Triosonaten für Orgel
Johann Sebastian Bach: Triosonaten BWV 525-530. Martin Neu. audite 97.827 (Note 1)
Diese 18 Triosonaten-Sätze zählen unangefochten zum Schönsten, was je für die Orgel geschrieben wurde – und zum Schwierigsten. Auf diesem Album kommt alles zusammen, was Bachs Orgel zum ungetrübten Hörgenuss macht: eine Orgel, an deren lebendiger Farbigkeit man sich nicht satthören kann; eine Aufnahme, die diese Klänge warm, räumlich, ja greifbar weitergibt; und vor allem ein Organist, der diese Wunderwerke kantabel schwingend und mit entspannter Präzision spielt, als sei es ihm ein reines Vergnügen. Für die Jury: Friedrich Sprondel
Oper
Andrea Bernasconi: L’Huomo
Festa Teatrale. Philipp Mathman, Maria Ladurner, Francesca Benitez, Florian Götz, Alice Lackner, Simon Bode, Anna Herbst, Johanne Falkinger, Ensemble 1700, Dorothee Oberlinger. 3 CDs, deutsche harmonia mundi 19658892092 (Sony)
In Andrea Bernasconis »Festa teatrale« steckt der Geist einer außergewöhnlichen Frau, Wilhelmine von Preußen. Die Bayreuther Markgräfin verfasste die Vorlage (auf Französisch!) für das Libretto, komponierte selbst einige Nummern dazu und brachte das Werk 1754 beim Besuch von Bruderherz Friedrich II. in Bayreuth zur Aufführung. Die Allegorie von Gut und Böse, die mit dem Sieg der Aufklärung über die Finsternis endet, ist auch ein Fest der musikalischen Italianità, glanzvoll zum Erklingen gebracht durch die herausragenden Gesangssolisten und das Ensemble 1700 unter Dorothee Oberlinger. Für die Jury: Max Nyffeler
Oper
Bohuslav Martinů: Die griechische Passion (Řecké pašije)
Gábor Bretz, Sebastian Kohlhepp, Sara Jakubiak, Charles Workman, Christina Gansch, Matteo Ivan Rašić u.a., Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor, Wiener Philharmoniker, Maxime Pascal, Regie: Simon Stone. Blu-ray/DVD, Unitel Edition 811104/811008 (Naxos)
Vertreibung, Flucht, Not und Tod, Konstanten menschlicher Geschichte, verwoben Nikos Kazantzakis und Bohuslav Martinů in ihrer »Griechischen Passion« mit der Einstudierung der Leidensgeschichte Jesu in einem Dorf und ankommenden Flüchtlingen. Regisseur Simon Stone und sein Team machen den brandaktuellen Konflikt allgemeingültig sichtbar: zwischen Alteingesessenen und Flüchtlingen, zwischen institutionalisiertem und tief empathischem Christentum. Ein rollendeckendes Ensemble und differenzierte Chöre lassen Werk und Aufführung zu einer eindringlichen Mahnung an das »christliche Abendland« werden. Für die Jury: Wolf-Dieter Peter
Chor und Vokalensemble
Gabriel Fauré: Requiem
& Charles Gounod: Messe de Clovis, Louis Aubert: O Salutaris, André Caplet: Adagio für Violine & Orgel. Emöke Baráth, Philippe Estèphe, Chouchane Sironassian, Le Concert Spirituel, Hervé Niquet. Alpha Classics 1014 (Naxos)
Friedvoller als Gabriel Fauré hat kein Komponist die letzten Dinge verhandelt. Und doch hat auch kaum einer so aufregend Schmerz und Trauer erst in Schönheit und dann in Hoffnung überführt – zumal in der Originalfassung ohne Bläser und Geigen. Hervé Niquet nahm sie als Grundlage seiner Neuproduktion mit Le Concert Spirituel und lässt die Leidenschaften des Werkes zart nach innen leuchten. Vollendeter Gesang, sensibel begleitet, erstklassig aufgenommen. Gounods Chlodwig-Messe nimmt man als Exoten gern mit – und freut sich in Caplets Adagio am entrückten Geigengesang der wunderbaren Chouchane Sironassian. Für die Jury: Peter Korfmacher
Klassisches Lied und Vokalrecital
Mythos
Lieder von Franz Schubert & Carl Loewe. Konstantin Krimmel, Ammiel Bushakevitz. Alpha Classics 1088 (Naxos)
Mit der CD »Saga« katapultierte sich Konstantin Krimmel ins Spitzenfeld des Liedgesangs. Mit »Mythos« zeigt dieser Bariton: Das Sagen- und Balladenhafte bleibt seine Domäne, nun verfeinert und klanglich erweitert. Loewes und Schuberts Lieder holt er heraus aus falsch verstandener Tradition. Mit Pianist Ammiel Bushakevitz ist er so neugierig und selbstbewusst, dass man Hits wie den »Erlkönig« oder »Die Uhr« anders, überraschend erfährt. Krimmel zielt, auch dank exzellenter Technik und sehr reifer Textreflexion, nie auf den Effekt, sondern auf den natürlich empfundenen Ausdruck. Für die Jury: Markus Thiel
Alte Musik
Vivaldi ×2²
Sieben Doppelkonzerte. La Serenissima, Adrian Chandler. Signum Classics SIGCD908 (Note 1)
Vivaldis Doppelkonzerte tragen immer auch Züge eines musikalischen Wettkampfs; das damit verbundene Vergnügen kommt in La Serenissimas Darbietung hervorragend zur Geltung: Die Briten spielen mit Biss und Temperament, produzieren einen kräftigen, kernigen Klang, schießen dabei aber niemals übers Ziel hinaus, sondern achten stets auf die innere Stabilität des Rhythmus und die Verbindlichkeit des Ausdrucks. Die Begeisterung, die Adrian Chandler bei seinen Interpretationen italienischer Barockmusik spürbar antreibt, ist einmal mehr ansteckend. Für die Jury: Matthias Hengelbrock
Zeitgenössische Musik
Milica Djordjević: Mali Svitac, ...
& Quicksilver, Čvor, Mit o ptici (musica viva #44). Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Duncan Ward, Peter Rundel, Johannes Kalitzke. BR-Klassik 900644 (Naxos)
Für Milica Djordjević ist Komponieren eine Erforschung des Klangs. Da wird seziert und in die Stille gelauscht, wellenförmige Entwicklungen entfachen großflächige Ausbrüche. In ihrer Musik erreicht die Komponistin eine unerhörte Ereignisdichte, was das BR-Symphonieorchester in diesem Porträt mit Werken aus den Jahren 2016 bis 2023 exemplarisch verlebendigt. Die erreichte Klangkultur ist schlicht stupend. Auch zwei Uraufführungen sind dokumentiert. In »Mit o ptici« (Vogelmythos) vereinen sich Orchester und Chor zu einem organisch zusammenwachsenden, gemeinsam atmenden Klangkörper: ein veritabler Hörkrimi! Für die Jury: Marco Frei
Filmmusik
Ryuichi Sakamoto: Opus
Digital, Milan Records G0100053193277 (Sony)
Wie klingt ein musikalisches Lebewohl? Nach Einsamkeit, nach Hoffnung, nach Trost? In Ryuichi Sakamotos letztem Werk ist all das zu spüren. Es sind universale Gefühle, denen der bereits erkrankte Komponist und Musikpionier in seinem Score zum Dokumentarfilm »Opus« durch das Klavier eine Form gab. 20 Songs aus seinem Lebenswerk interpretierte Sakamoto für die konzertante Werkschau, lässt überragende Musikideen aus Filmen wie »Merry Christmas, Mr. Lawrence«, »The Last Emperor« und »The Sheltering Sky« Revue passieren. Das intime Setting gibt dem Klang Raum. Der Abschied ist endgültig – die Musik jedoch bleibt. Für die Jury: Jenni Zylka
Jazz
Bernd Lhotzky: The Gallery Concerts III: Rag Bag
ACT 9993-2 (Edel)
Die Anknüpfungspunkte für die brillante Pianistik des Münchner Pianisten Bernd Lhotzky lagen bisher meist im Stridepiano. In »Rag Bag« blickt er zurück auf dessen Vorläufer: den Ragtime – eine Startrampe in alle Richtungen. Oft sind dessen Elemente bei ihm nur in homöopathischen Dosen vorhanden, doch wie das Salz in der Suppe prägen sie den Gesamtklang. In diesem Konzert spinnt er über Choro, klassische Moderne, Spanish Tinge, Blues und Stride die vom Rag ausgehenden Impulse in die Gegenwart weiter, in 13 feinen, meist eigenen Miniaturen – und das mit spielerischer Leichtigkeit und Stilgefühl! Für die Jury: Marcus A. Woelfle
Jazz
Nduduzo Makhathini: uNomkhubulwane
CD/2 LPs, Blue Note Records ST-85225 (Universal)
Mit seinem dritten Album für Blue Note Records legt der südafrikanische Pianist Nduduzo Makhathini ein tongewaltiges Manifest vor, das – tief in spiritueller Tradition verwurzelt – zugleich visionär in die Zukunft weist. In der dreiteiligen, der namensgebenden Zulu-Göttin des Regens, der Natur und der Fruchtbarkeit gewidmeten Suite beschwört er die Kraft des Erneuerns aus der Besinnung auf die kulturellen Quellen. Das Spiel im Trio mit Bass und Schlagzeug, ergänzt durch Makhathinis eindringliche Vocals, gleicht einem Ritual und schließt einen Kreis zwischen Hören, Fühlen und Heilen. Für die Jury: Bert Noglik
Weltmusik
Sages Comme des Sauvages: Maison Maquis
Digital, Capitane Records 3700398730189 (Cargo)
Sages Comme Des Sauvages – das sind Ava Carrère und Ismaël Colombani. Sie kommt aus der Theater- und Kunstwelt, er aus der Klassik und der experimentellen Musik. Das Duo lebt in Brüssel und singt Chansons mit Stolperdrähten, klanglichen wie inhaltlichen; Alltags- und Seelengeschichten, lakonische Lebensbetrachtungen, in charmant-spröde, aber verführerische Melodien verpackt. Gäste wie der Electro-Raï-Star Sofiane Saidi oder die sechsstimmige a capella Formation »San Salvador« belegen: das Chanson hat hier sein schmuckes Reihen-Häuschen verlassen und ist in eine alternative WG umgezogen. Für die Jury: Jodok W. Kobelt
Traditionelle Ethnische Musik
Vigüela: We
CD/Digital, Mapamundi Música MM003 (Direktvertrieb)
Das Ensemble Vigüela aus der zentralspanischen Region Castilla-la-Mancha wurde nach Ende des Franco-Regimes gegründet. Die Leidenschaft von Vigüela ist die lebendige Fortführung des traditionellen Musikrepertoires aus der Heimat Don Quijotes: »We« ist eine fast hypnotische Neuinterpretation ländlicher Jotas, Fandangos und Sones. Instrumente wie der Rebec-ähnliche Rabel und die Zambomba verschmelzen hier mit den Männer- und Frauenstimmen zu einem ungewöhnlich farbigen Gesamtklang. Die sehr intime Aufnahme besticht zudem durch eine raue Intensität, welche die musikalischen Nuancen umso feiner hervorbringt. Für die Jury: Britta Sweers
Liedermacher
Stellmäcke & Trotzband: Trotzdem
Secundo (Direktvertrieb)
Mit jazzig angehauchtem Saxofon-Solo heißt es zum Auftakt »Kommt rein«, und es folgt gleich danach eine wunderschöne deutschsprachige Version von »Jardin d’Hiver«, dem Comeback-Chanson des legendären Sängers Henri-Salvador. Im Zentrum aber stehen Stellmäckes eigene Texte, in denen er aktuelle und zeitlose Themen aufgreift. Die Trotzband darf die Gitarre zuweilen rockig aufdrehen, dann aber klimpert auch ironisch ein altes Klavier locker als »KI Boogie« dazwischen, wenn »sie« uns ohnehin alle schon überwachen. »Trotzdem« zeichnet eine kongeniale Symbiose von Musik und Wort aus. Für die Jury: Hans Reul
Folk und Singer/Songwriter
Damian McKee: Moyola Cottage
CD/Digital, Damian McKee Music 0754169896041 (Direktvertrieb)
Damian McKee ist der Akkordeonspieler von BEOGA, die vom Wall Street Journal gepriesen wurde als »die aufregendste traditionelle Band, die in diesem Jahrhundert aus Irland hervorgegangen ist«. Außerdem widmete er sich als namhafter Solist und gefragter Lehrer der Weitergabe traditioneller irischer Musik. Auf »Moyola Cottage« erklingen erstmalig und ausschließlich seine eigenen Kompositionen. Die Melodien reichen von traumhaften, langsamen Stücken bis hin zu einer Fülle brillanter Reels, Jigs und Polkas in exzellenter Brillanz, Perfektion und Tightness, garniert mit Elementen einer Pop-Produktion. Für die Jury: Jo Meyer
Pop
Fontaines D.C.: Romance
CD/LP, XL Recordings XL1436 (Indigo)
Mit ihrem neuen Album »Romance« deckt die irische Band Fontaines D.C. ein breites stilistisches Spektrum ab, dessen Referenzen vom Beat der 1960er Jahre über Elemente von Prog – und Psychedelic-Rock bis zu Punk, New Wave und Britpop reichen. Dabei bleibt ihre kollektive Handschrift stets erkennbar. An Höhepunkten reich, durchzieht das Album ein narrativer Faden, der sich auch an Vorbildern aus Film und Literatur orientiert. »Romance« wird seinem Titel insofern gerecht, als es das Konzept von Romantik aus aktueller Perspektive facettenreich hinterfragt und trotzdem extrem unterhaltsam ist. Für die Jury: Wolf Kampmann
Rock
Johnny Blue Skies: Passage Du Desir
CD/LP, High Top Mountain 83533 (Membran)
Sturgill Simpson ist eine Ausnahmeerscheinung und setzt die Tradition der Outlaws fort. Nach krisenbedingter Häutung kehrt er als Johnny Blue Skies mit einem sehr persönlichen Album zurück, das er nicht mehr in Nashville, sondern in Paris erarbeitete. Sehr emotional und introspektiv legt er Schmerz, Verzweiflung und Bedauern schonungslos offen. Die Lyrik ergreift, die Musik strotzt vor Kraft. Mit seiner Stilistik aus Bluegrass, Country, R&B und Psychedelia wurde er 2014 mit »Metamodern Sounds In Country Music« zum Game-Changer, und dieses herausragende 2024er Album bestätigt seinen stilprägenden Status. Für die Jury: Christine Heise
Hard und Heavy
Dark Tranquillity: Endtime Signals
CD/LP, Century Media 0198028068925 (Sony)
Die Schweden sind in einem Atemzug zu nennen mit den Gruppen »In Flames«, die bekannter ist, und »At The Gates«, die in Szenekreisen als kultiger gilt. Anfang der Neunziger Jahre wagte das Dreigestirn den Spagat zwischen Härte und Melodie, der als »Göteborger Schule« in die Metal-Geschichte einging. Auch die Weiterentwicklung gelingt: Auf ihrem 13. Werk bieten »Dark Tranquillity« eine nahezu perfekte Melange aus Aggressivität und Emotion, die der mal harsche, mal klare Gesang von Mikael Stanne sowie dessen philosophische Lyrik über den Zustand unserer Welt krönen. Für die Jury: Katrin Riedl
Club und Dance
Kampire presents: A Dancefloor in Ndola
CD/2 LPs/Digital, Strut Records STRUT273 (Indigo)
Rückwärts in die Zukunft tanzen: DJ Kampire gehört zum Kollektiv Nyege Nyege in Kampala, dessen Label für die wildesten Seiten heutiger afrikanischer Clubmusik steht. Auf dieser Compilation versammelt sie hingegen Musik, mit der sie aufwuchs, und unternimmt eine Reise durch ost- wie südafrikanische Genres, teils mit klingelnd kreiselnden Gitarren, teils beherrscht von Drum-Computern und digitalen Synthesizern. Die Auswahl ist Kampires eigener Geschichte verpflichtet, zugleich euphorisiert sie weit über die im Titel erwähnte Tanzfläche in der sambischen Stadt Ndola hinaus. Für die Jury: Tim Caspar Boehme
Electronic und Experimental
Mary Ocher: Your Guide to Revolution
LP/Digital, Underground Institute LPUI9 (Bertus)
Wie, bitte, geht’s zur Revolution? Mit dem Album »Your Guide to Revolution« und einem begleitenden Handbuch weist Multitalent Mary Ocher Künstlerinnen und Künstlern sowie anderen Non-Konformistinnen den Weg zum Widerstand gegen die Konsumgesellschaft. Der Schlüssel: Selbstbescheidung auf das Wesentliche. Musikalisch ist das größtenteils von ihr selbst mit den Drummern Mats Folkesson und Theo Taylor eingespielte Werk erfreulich reichhaltig: eine persönliche Playlist, in der Postpunk und Industrial ebenso anklingen wie Cumbia-Rhythmen oder das Spiritual-Fusion-Album »The Rubaiyat of Dorothy Ashby«. Für die Jury: Guido Halfmann
Blues
Bywater Call: Shepherd
CD/LP, Bywater Call CDBCR1 (Bear Family Records)
Eine Band besteht stets aus der Summe ihrer Einzelteile, und doch muss man beim kanadischen Septett Bywater Call mit der Ausnahme-Stimme von Meghan Parnell beginnen: Sie gibt wohldosiert kraftvoll bis zart das Energie-Level vor, dem sich die Musiker an ihren Instrumenten anpassen, sodass große Energie und ein eigener Southern-Roots-Rock-Sound entstehen. »Shepherd«, das dritte Studioalbum der Kanadier, überzeugt mit exzellentem Songwriting und jamfreudig avancierter Spielkunst. Wenn ein Album Lust macht, eine Band live spielen zu sehen, ist im Studio alles richtig gelaufen – wie bei Shepherd. Für die Jury: Tim Schauen
R&B, Soul und Hip-Hop
Galliano: Halfway Somewhere
CD/2 LPs, Brownswood Recordings BWOOD363CD (Rough Trade)
Mit Collagen aus Wort und Musik, die die kleinen Momente des Lebens in einer sich ständig weiterentwickelnden Szene einfangen, wurde Rob Gallagher zum einzigartigen Chronisten seiner Zeit. Und dies gilt wohl auch für das gesamte Projekt Galliano, dessen Gesicht er ist. Aktuelle Botschaften, tanzbare Grooves und positive Energie – gut 30 Jahre nach Erscheinen des ersten Albums schafft es die Band (auch dank des Revivals jazziger Sounds seit Anfang der 1990er Jahre), erneut ein junges Publikum zu erreichen. »Circles Around The Sun« heißt, durchaus treffend, eines der Highlights des durchweg sehr guten Albums. Für die Jury: Michael Rütten
Kinder- und Jugendaufnahmen
Ali Standish: Baskerville Hall
Das geheimnisvolle Internat der besonderen Talente. Johann von Bülow. mp3-CD, Der Audio Verlag ISBN 978-3-7424-3264-3
In Cambridge hat die Amerikanerin Ali Standish Kinderliteratur studiert – und vielleicht dort die Liebe zu Arthur Conan Doyle entdeckt; gleich eine ganze Buchreihe hat sie ihm gewidmet. Arthurs außergewöhnliche Beobachtungs- und Reaktionsgabe führt ihn in das geheime Internat mit ungewöhnlich skurrilen Studienzirkeln. Unterrichtet werden etwa Anatomie und Metallogie, Boxen oder Wahrsagen. Ausgeschmückt mit reichlich Fantasy, ist diese Detektivgeschichte genau das Richtige für helle Köpfe. Und Johann von Bülow gelingt es, stimmlich und reich an Varianten die Tradition von Sherlock Holmes zu unterstreichen. Für die Jury: Helen Seyd