Bestenlisten

Mit einem Platz auf der Bestenliste werden vierteljährlich die besten und interessantesten Neuveröffentlichungen der vorangegangenen drei Monate ausgezeichnet. Bewertungskriterien sind künstlerische Qualität, Repertoirewert, Präsentation und Klangqualität. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jeder Bestenliste hinterlegt.

Bestenlisten

Orchestermusik und Konzerte

Maximilian Steinberg: Symphonie Nr. 3 g-Moll op. 18

& Dmitri Schostakowitsch: Der Bolzen (Suite aus dem Ballett) op. 27a. Ural Youth Symphony Orchestra, Dmitry Filatov. Fuga Libera FUG 831 (Naxos)

Vielleicht braucht es gerade den Elan einer jungen Generation, um eine vergessene, aus der Zeit gefallene Partitur so frisch und neu klingen zu lassen. Die Rede ist von der 1927/28 entstandenen, hervorragend instrumentierten Dritten Symphonie des in Vilnius geborenen Maximilian Steinberg (1883-1946), Meisterschüler und späterer Schwiegersohn von Rimski-Korsakow. Das Label hat einen Schatz gehoben. Das Ural Youth Symphony Orchestra spielt mit berückender Präzision und drängender Dichte. Und Schostakowitschs lange aus dem Verkehr gezogene »Bolzen«-Suite (1931) wird geradezu plastisch-cineastisch realisiert. Für die Jury: Michael Kube

Orchestermusik und Konzerte

Edward Elgar: Violinkonzert

Vilde Frang, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Robin Ticciati. Parlophone Records 5021732409423 (Warner)

»Schrein einer Seele« nannte Elgar sein Violinkonzert, anspielend auf ein verrätseltes Liebesmotiv. In den auf schier endlosem Atem sich entfaltenden Phrasen des langsamen Satzes gelingt ein berückend intimer Blick ins Geheimnis von Elgars Musik, die unter vielen Gesichtspunkten extrem herausfordernd ist. In den Ecksätzen, an den äußersten Grenzen der virtuosen Belastbarkeit, wird Meisterschaft vom puren physischen Durchhalten geschieden. Die Makellosigkeit, mit der Geigerin Vilde Frang einen Prüfstein im Funkenflug der Spielfreude zum Meisterstück macht, ist atemberaubend. Für die Jury: Jörg Lengersdorf

Kammermusik

Franz Schubert: Streichquartett Nr. 14 »Der Tod und das Mädchen«

& Iris ter Schiphorst: Sei guten Muts, Mark Andre: 7 Stücke für Streichquartett. Kuss Quartett, Maurice Steger. Rubicon RCD1104 (harmonia mundi/Bertus)

Eine so stringente Programmdramaturgie bei Musik, deren Entstehung knapp zwei Jahrhunderte trennt, erlebt man selten. Wobei der klangliche Kontrast zwischen Blockflöte und Streichquartett in Iris ter Schiphorsts Schubert-Hommage »Sei gutes Muts« (2021) mit unterschiedlichen Spieltechniken eindrucksvoll ausgereizt wird. In Mark Andres Seven Pieces (2022/23) erschafft das Quartett dann eine kaum mehr wahrnehmbare, geisterhafte Klangwelt. Für das Referenzstück des Albums, Schuberts Quartett, erhält das Kuss Quartett wegen des fast schon metallisch-expressiven Spiels einen Extrastern. Für die Jury: Bernhard Hartmann

Kammermusik

Johannes Brahms: Klavierquartette Nr. 2 op. 26 & Nr. 3 op. 60

Tanja und Christian Tetzlaff, Barbara Buntrock, Lars Vogt. Ondine ODE 1448-2 (Naxos)

Lars Vogt, der 2022 viel zu früh verstorbene Pianist, erweist sich in diesen posthum erschienenen Aufnahmen der seltener aufgeführten Klavierquartette Nr. 2 und 3 von Johannes Brahms noch einmal als einer der einfühlsamsten, farbenreichsten und kompetentesten Kammermusiker der vergangenen Jahrzehnte. Gemeinsam mit seinen Musikpartnerinnen und -partnern Christian und Tanja Tetzlaff sowie Barbara Buntrock ist eine auf lange Zeit Maßstäbe setzende Veröffentlichung entstanden, die die Erinnerung an einen der führenden Brahms-Interpreten lange wachhalten wird. Für die Jury: Andreas Göbel

Tasteninstrumente

»Made in USA«

George Gershwin: Rhapsody in blue, Amy Beach: Variations on Balkan Themes, Samuel Barber: Klaviersonate op. 26, Earl Wild: 7 virtuoso Etudes. Claire Huangci. Alpha Classics 1071 (Naxos)

Made in USA: Claire Huangci schöpft aus dem Kompositionsstandort ihrer Heimat, dem nordamerikanischen Kontinent. Mit Gershwins »Rhapsodie in Blue« verleiht die Pianistin ihrem Album von der ersten Sekunde an ein Schillern, das Genregrenzen virtuos verschwimmen lässt. Eine transatlantische Fusion mazedonischer Volksmelodien mit amerikanischer Spätromantik bildet dabei das Herzstück dieser meisterhaften Produktion – die »Variationen auf ein Balkanthema« von Amy Beach. Außerdem: stilistisch Komplexes von Samuel Barber und Gershwin-Weiterspinnungen von Earl Wild. Güte erster Klasse! Für die Jury: Marie-Theres Himmler

Tasteninstrumente

Bach: Triosonaten für Orgel

Johann Sebastian Bach: Triosonaten BWV 525-530. Aart Bergwerff. 2 SACDs, Challenge Classics CC72992 (Bertus)

Mit der prächtigen, 1739 von Johann Christoph Wiegleb erbauten Orgel der Hof- und Stiftskirche St. Gumbertus im fränkischen Ansbach wählt Aart Bergwerff ein geradezu ideales Instrument, um Bachs Triosonaten eindrucksvoll in Szene zu setzen. Für jeden Satz findet er die perfekten Tempi, leuchtet insbesondere die Tiefendimensionen der langsamen Mittelsätze mit reichen Farben eindrucksvoll aus und katapultiert den Zuhörer mitten hinein in ein spektakuläres Raumklangerlebnis. Einfach großartig! Für die Jury: Martin Hoffmann

Oper

Christoph Willibald Gluck: Iphigénie en Aulide

Judith van Wanroij, Stéphanie d’Oustrac, Cyrille Dubois, Tassis Christoyannis, Jean-Sébastien Bou, Les Chantres du Centre de musique baroque de Versailles, Le Concert de la Loge, Julien Chauvin. 2 CDs, Alpha Classics 1073 (Naxos)

Seltsam genug, dass es bislang keine Aufnahme von Glucks »Iphigénie en Aulide« mit historischem Instrumentarium gab. Le Concert de la Loge und sein Gründer Julien Chauvin haben es nun gewagt – und gleich gewonnen: durch ihren dramatischen Atem und ihr hohes Erzähltempo, aber auch durch das fabelhafte Sängerensemble, vor allem Tassis Christoyannis und Cyrille Dubois, die die innere Zerrissenheit des Agamemnon und des Achill nachempfinden lassen. So wird hörbar, warum Gluck mit dieser Oper in Paris der endgültige Durchbruch gelang: die Unmittelbarkeit, die Natürlichkeit, zuletzt das Humane. Für die Jury: Michael Stallknecht

Oper

Jacques Offenbach: La Vie Parisienne

Anne-Catherine Gillet, Véronique Gens, Artavazd Sargsyan, Sandrine Buendia, Marc Mauillon, Jérôme Boutillier, Pierre Dermet, Choeur de l’Opera & Orchestre National du Capitole de Toulouse, Romain Dumas. 2 CDs mit Buch, Bru Zane BZ 1057 (Naxos)

Ach, dieses ewig pulsierend lockende »Welthauptstadtleben«! Zuletzt in der fabulösen Olympia-Eröffnung mit der verblüffenden Rap-Performance von Aya Nakamura, hinter der die Kapelle der Republikanischen Garde (!) musizierend mit den Hüften swingte – genau diese keck-freche Lebenslust hat Jacques Offenbach schon in einem Bühnenrollen-Wirbel für die Weltausstellung 1867 gestaltet. Das macht die aus Toulouse kommende, kritisch restaurierte erste Komplett-Aufnahme mit etlichen, 1866 gestrichenen, bislang kaum gespielten Nummern höchst unterhaltsam hörbar: Erotische Wirren mit musikalischem Champagner übergossen. Für die Jury: Wolf-Dieter Peter

Chor und Vokalensemble

Jeff Beal: The Salvage Men

& Samuel Barber: Reincarnations, Daniel Nelson: The New Colossus, Eric Whitacre: A Boy and Girl, Three Songs of Faith. Eric Ericson Kammarkör, Fredrik Malmberg. SACD, BIS Records BIS-2599 (Klassik Center Kassel)

Wenn vom »schwedischen Chorwunder« gesprochen wird, meinen die Landsleute nicht zwingend den Rundfunkchor. Dessen legendärer Leiter Eric Ericson gründete schon früh einen eigenen Profikammerchor, dem er ein ähnliches superbes Niveau antrainierte. Ericsons Nachfolger Fredrik Malmberg (2012 bis 2024) brachte neue Impulse. Seine jüngsten Aufnahmen mit dem Eric Ericson Kammarkör bilden eine fabelhafte Trilogie über moderne Chormusik. Die spannendste Entdeckung sind wohl Samuel Barbers »Reincarnations«, die hier – Dank nach Stockholm – in der besten Einspielung des Werks vorliegen. Für die Jury: Wolfram Goertz

Klassisches Lied und Vokalrecital

»Sacro furore«

Antonio Vivaldi: Stabat Mater, Nisi Dominus, In furore, Concerti RV 129, 157 & 169. Carlo Vistoli, Akademie für Alte Musik Berlin, Georg Kallweit. harmonia mundi HMM 902383 (harmonia mundi/Bertus)

Vivaldis Bibel-Vertonungen drängen ins Theatralische. Carlo Vistoli führt mit »Sacro Furore« vor Ohren, dass dies ohne aufgesetzte Effekte und Egomanie gestaltet werden kann. Im »Nisi Dominus«, im »Stabat Mater« und in einer weiteren Motette verbindet der Countertenor Sinnlichkeit und Stilbewusstsein. Dies mit makelloser Virtuosität, staunenswerter Flexibilität, stufenlos pegelbarer Intensität und einem dunklen Timbre, in das sich aparte Bitterstoffe mischen. Die Berliner Akademie für Alte Musik unter Georg Kallweit lässt dazu die Musik lustvoll heißlaufen. Für die Jury: Markus Thiel

Alte Musik

Giovanni Antonio Pandolfi Mealli: Violinsonaten op. 3 & 4

Il Rosario: Daniel Sepec, Hille Perl, Lee Santana, Michael Behringer. 2 CDs, Coviello Classics COV 92421 (Note 1)

Pandolfi Mealli publizierte 1660 seine außerordentlich phantasievollen und stets unberechenbaren Violinsonaten, die ein Bindeglied zwischen Castello, Marini und Uccellini auf der einen und Schmelzer und Biber auf der anderen Seite bilden. Für diese Trouvaillen haben seit 1992 schon einige Geiger eine Lanze gebrochen, doch nun gelingt Daniel Sepec der endgültige Durchbruch. Bei ihm kommt nämlich die Expressivität der vielen unerwarteten Wendungen besonders gut zum Ausdruck, aber auch die pure Musizierlust sowie die Poesie, die sich in vielfältigen Klangfarben und Artikulationsnuancen niederschlägt. Für die Jury: Matthias Hengelbrock

Zeitgenössische Musik

»Furrer 70«

Medienbox. Ein Projekt von Klangforum Wien. Beat Furrer, Klangforum Wien u.a.. 6 CDs, 3 Filme, 2 Bücher, Klangforum Wien 0658606291324 (Direktvertrieb)

Ein umfangreicher Inhalt – verpackt in edlem Karton, farblich in verschiedenen Graustufen gehalten. Gestaltet vom Klangforum Wien. Der international renommierte Komponist hat das Ensemble mitbegründet und jahrelang maßgeblich als Dirigent geprägt. 18 Schlüsselwerke aus Furrers Schaffen haben er und das Klangforum ausgewählt und eingespielt. Zusammen mit Videos (Gespräche und Lebensumfeld), Texten sowie einer Bücherliste aus Furrers Bibliothek bietet diese Medienbox einen umfassenden, vertiefenden Einblick in das musikalische Œuvre und die Gedanken- und Arbeitswelt Furrers. Für die Jury: Nina Polaschegg

Design/Foto: © Liza Borovskaya-Brodskaya, Mitzi Gugg, Jakob Mayr

Historische Aufnahmen

Emanuel Feuermann – The Complete RCA Album Collection

Werke von Brahms, Schubert, Canteloube, Fauré, Beethoven, Mozart u.a.. Emanuel Feuermann, Jascha Heifetz, William Primrose, Franz Rupp, Arthur Rubinstein, Philadelphia Orchestra, Eugene Ormandy u.a.. 7 CDs, Sony Classical 19439977442

In den 1940/50er-Jahren starben viele junge Künstler, wie Emanuel Feuermann, William Kapell, Ginette Neveu und Dinu Lipatti. Alle hinterließen Aufnahmeprojekte, die nicht mehr realisiert werden konnten. Umso erfreulicher, dass hier die letzten Aufnahmen von Emanuel Feuermann zusammengefasst vorliegen. Nach den früheren Aufnahmen in Deutschland, Europa und Japan entstanden in Amerika wertvolle Einspielungen mit Künstlern wie Leopold Stokowski, Eugene Ormandy, Jascha Heifetz und Arthur Rubinstein. Erstveröffentlichungen sind nicht dabei, aber eine seltene Aufnahme der Litanei »Dank Sei Dir, Herr« von Siegfried Ochs. Für die Jury: Stephan Bultmann

Grenzgänge

Joel Lyssarides & Georgios Prokopiou: Arcs & Rivers

CD/LP, ACT 9998-2 (Edel)

Wie immer bei Musik, die zu bewegen vermag, entspringt auch diese einer persönlichen Geschichte. Auf der Suche nach den Wurzeln seiner griechisch-zypriotischen Vorfahren traf der in Stockholm beheimatete Pianist Joel Lyssarides mit dem Bouzouki-Spieler Georgios Prokopiou zusammen, in dem er einen ebenso virtuosen wie experimentierfreudigen Dialog-Partner fand. Souverän verbinden die beiden den Gestus des Jazz mit dem Geist des Rembetiko, dem griechischen Blues. Gemeinsam gelingt ihnen ein feines Geflecht aus Klängen und Rhythmen, das die Kategorien auflöst und mit Exzellenz bezaubert. Für die Jury: Bert Noglik

Filmmusik

John Gürtler, Jan Miserre: The Outrun

Digital, Decca 0602475095095 (Universal)

John Gürtler und Jan Miserre zeigen immer wieder, wie innovativ und vielseitig Filmmusik sein kann. Mit der Musik für »The Outrun« erweiterten sie die Grenzen des Sounddesigns, indem sie elektronische Clubtracks mit orchestraler Musik verschmelzen und seltene Instrumente wie das Ondes Martenot und das Cristal Baschet verwenden. Die Mischung aus Clubtracks und Orchester-Elementen zieht sich durch den gesamten Soundtrack und erinnert an legendäre Scores der 60er- und 70er-Jahre, wo alles – von ethnischen Instrumenten bis zu abgefahrenen Effekten – miteinander kombiniert wurde. Genau das macht den Sound von Gürtler und Miserre so besonders. Für die Jury: Milena Fessmann

Musikfilm

DJ Mehdi: Made in France

Doku-Serie in 6 Teilen von Thibaut de Longeville. Mit DJ Mehdi, Pedro Winter, Mokobé, Kery James u.a.. Stream, ARTE France

Der 2011 verstorbene Musiker und Produzent Mehdi Favéris-Essadim, alias DJ Mehdi, war eine Schlüsselfigur der französischen Musikszene. Wie er mit brillanter Sample- und Drumcomputertechnik zunächst den Banlieue-Rap charttauglich machte und später mit Electro-Projekten den »French Touch« maßgeblich mitprägte, zeigt diese grandios geschnittene Doku-Serie. Dass sie sich dabei Zeit lässt für substanzreiche O-Töne von Weggefährtinnen und -gefährten und auch die sozialen Hintergründe erhellt, macht sie zu einem packenden Zeugnis jüngerer Pop-Musikgeschichte. Für die Jury: Juan Martin Koch

Jazz

Al Jarreau & NDR Bigband: Ellington

CD/2 LPs, ACT 9060-2 (Edel)

In Hamburg nahm Al Jarreaus europäische Karriere Mitte der 70er Jahre volle Fahrt auf; im »Onkel Pö« wie beim NDR. In der Hansestadt ging er ein Jahr vor seinem Tod 2017 zum letzten Mal ins Aufnahmestudio. Eine Tour folgte mit der NDR Bigband, mit der er 1998 preisgekrönt Gershwins »Porgy and Bess« aufgenommen hatte. Jörg Achim Keller arrangierte Duke Ellingtons Swing-Klassiker – mit dem richtigen Gespür für die Freiräume des Sängers wie für die Soli-Tupfer der Bigband-Solisten. Die gereifte Stimme und das Orchester-Volumen berühren eindringlich – bei dieser Live-Hommage an Ellington und Al Jarreau. Für die Jury: Lothar Jänichen

Jazz

Arild Andersen: Landloper

ECM Records 2826 (Universal)

Seit Jahrzehnten ist der Norweger Arild Andersen eine feste Größe im internationalen Jazz. Sein Bassspiel ist auf Dutzenden Alben verewigt. Mit Ende 70 war die Zeit reif für das erste Solo-Album seiner Karriere. Zum überwiegenden Teil live in Oslo aufgenommen, bündelt Andersen hier viele Spiel-Erfahrungen und Inspirationen seiner langen Karriere. Neben eigenen Stücken interpretiert er Musik von Ornette Coleman, Charlie Haden und Albert Ayler auf imposante Art und Weise. Technisch erstklassig und seelenvoll zugleich hat er die Soli eingespielt: Chapeau! Für die Jury: Matthias Wegner

Weltmusik

Nesrine: Kan Ya Makan

Once Upon A Time. CD/LP, ACT 9986-2 (Edel)

Kan Ya Makan heißt übersetzt »Es war einmal…« … die Cellistin und Songschreiberin Nesrine besingt jedoch keine Märchen, sondern Erfahrungen aus der eigenen Familiengeschichte. Ihr Großvater kam aus Algerien nach Frankreich. Die Enkelin studierte klassische Musik, spielte unter Daniel Barenboim und im Cirque de Soleil. Sie tanzte im Jazz und ist jetzt ganz bei sich angekommen – in arabischer, französischer und englischer Sprache erzählt sie von Abschied und Unsicherheit, über das Reisen und das Ankommen: in der Liebe. Entstanden sind geschmeidige Chansons mit arabischem Seidenschal und mediterranem Parfüm. Für die Jury: Jodok W. Kobelt

Traditionelle Ethnische Musik

Joolaee Trio: Morgenwind

gwk Records GWK 164 (Klassik Center Kassel)

Eine renommierte Konzertpianistin, ein Meister der persischen Kniegeige Kamancheh und ein virtuoser Perkussionist – das Joolaee Trio erforscht auf seiner Debut-CD »Morgenwind« musikalische Welten zwischen Ost und West. Der silbrige Ton des Streichinstruments und der volltönende Konzertflügel bilden eine exquisite Klangbalance, farbig angereichert um filigrane Trommelrhythmen und perlende Kaskaden vom Marimbafon. Neben gekonnten Arrangements persischer und türkischer Melodien stehen eigene Kompositionen im Mittelpunkt, inspiriert mal von barocker Fugen-Technik, mal von orientalischen Skalen. Für die Jury: Tom Daun

Liedermacher

Karl Neukauf: Karleidoskop Vol. 1

Timezone Records TZ2708 (Timezone Distribution)

Einmal gehört, wird diese Stimme unvergesslich: so tief und warm. Und nicht nur das: Musik, Wort und Instrumente – all das ist typisch Karl Neukauf auf dem nunmehr fünften Album; der Titel »Karleidoskop« spielt mit dem Vornamen. Aufgenommen, gemischt & verfeinert – auch all das von Karl Neukauf, dem Multi-Talent. Gäste mit klangvollen Namen kommen hinzu: Franziska Günther und Danny Dziuk. 1982 im »Zonenrandgebiet« in der Nähe von Kassel geboren, schreibt der Wahl-Berliner »Neue Berliner Chansons« – nicht für die Stadt der »Hipster und Veganer«, sondern für das »Berlin der Raucher und Poeten«. Bravo! Für die Jury: Petra Schwarz

Folk und Singer/Songwriter

Nadia Birkenstock: A Light So Bright

Adriana Records 0788364974808 (Direktvertrieb)

Das zweite Weihnachtsalbum der Sängerin und Harfenistin Nadia Birkenstock versetzt die Zuhörenden in vergangene winterliche Welten. Es umfasst weniger bekannte Lieder aus Irland, Wales, Frankreich und Deutschland sowie eigene Kompositionen, die sich bestens einfügen. Die keltische Harfe wurde von Birkenstock nicht nur meisterlich gespielt, sondern sie wurde durch Ralf Kleemann auch mit allen Facetten beeindruckend aufgenommen. Der ausdrucksvolle Gesang und die feinen Arrangements tun ein Übriges, um ein ausbalanciertes Werk zu schaffen, das tänzerische Leichtigkeit und besinnliche Ruhe verbindet. Für die Jury: Almut Kückelhaus

Pop

Tindersticks: Soft Tissue

City Slang Slang50584 (Rough Trade)

Stuart A. Staples sucht die Nähe. Seit über drei Jahrzehnten erkundet der Sänger und Songwriter aus Nottingham zusammen mit den Tindersticks die Feinheiten des Pop. Zwischentöne, sanfte Emotionen und deren Widerhall – »Soft Tissue« setzt dieses reflektierte, zuweilen melancholische Konzept feinsinnig und stimmig fort. Ein wenig Soul, ein paar gospelhaft arrangierte Gesangssätze und die bis ins kleinste Detail sorgfältig arrangierte Band-Dynamik weiten die dunklen Lieder in Richtung eines sanften, versöhnlich wirkenden Songprogramms – als musikalische Umarmung, die über der Nähe die Präsenz nicht vergisst. Für die Jury: Ralf Dombrowski

Rock

Father John Misty: Mahashmashana

CD/2 LPs, Bella Union BELLA1622 (Rough Trade)

Das Titelstück von Father John Mistys neuem (Doppel-)Album »Mahashmashana« ist ein neunminütiger, Pop gewordener wagnerscher Liebestod – üppig, schmerzlich, melodiös verführerisch. Solchen Mut zur orgiastischen Entladung im Refrain hat sonst nur Rufus Wainwright. Es ist ein gewaltig ausladendes, stilistisch geschlossenes Werk, das die Verbindung zum Rock nirgends kappt, aber von der Breitwand-Produktion immer wieder in Progressive-Rock-Sphären getrieben wird. Der Father, der auch wieder makellos singt, meint es diesmal besonders gut mit den Hörern. Für die Jury: Edo Reents

Hard und Heavy

Blood Incantation: Absolute Elsewhere

CD/LP/Digital, Century Media 19802802592 (Sony)

Das ist ein Triumph für retrofuturistische Nerds – »Blood Incantation« aus Colorado haben »Absolute Elsewhere« in den Berliner Hansa Studios ausgetüftelt; Brian Eno war hier, David Bowie natürlich und auch Tangerine Dream, deren Nachlassgestalter Thorsten Quaeschning das Quartett kurzerhand mitengagiert hat. Die Wahl von Aufnahmeort und Zuarbeiter ist nicht nur musikhistorische Geste, sondern konkretes Programm: Andersweltliche Death-Metal-Brutalität und elektronische Seventies-Space-Vibes erschaffen einen bildersatten Klangkosmos, der bislang unerkundet geblieben war. Im Weltall hört sie jemand schreien. Für die Jury: Thorsten Dörting

Alternative

Soap&Skin: Torso

CD/2 LPs, PIAS PIASD5095CD (Believe)

Seit Jahren lotet Soap & Skin alias Anja Plaschg aus, was pathetische Stille im Pop bedeutet. Ihre unverwechselbare Stimme hat sie immer wieder anderen geliehen (Apparat zum Beispiel) und sich selbst die Melodien anderer einverleibt: »Torso« versammelt jetzt Coverversionen, die die Österreicherin im Laufe der Zeit vor allem live gesungen hat, Hits wie »Voyage, Voyage« von Desireless oder Historisches wie »Pale Blue Eyes« von Velvet Underground. Mal biegt sie Verbogenes wie »Jonesburg, Illinois« von Tom Waits etwas gerader, mal verbeult sie es noch schöner wie »Girl loves me« vom späten Bowie. Für die Jury: Tobias Rüther

Club und Dance

Two Shell: Two Shell

Digital, Young YO352 (Direktvertrieb)

Two Shell haben mit ihrem Debüt (das so heißt wie die Band) ein Album geschaffen, das ideal zum Zeitgeist passt: Es ist hedonistisch, total drüber, voller Zitate und zugleich berührend. Das anonyme Duo aus Großbritannien mischt Genres aus dem UK-Kontinuum mit Glanz-Momenten von Popsternchen, schneidet ab, verzerrt, um es in Richtung Avantgarde-Electronica zu bringen. Das Sounddesign ist ultra-HD. Two Shell verleiben sich alles ein und machen es kompromisslos zu ihrem eigenen Sound. Ob springendes Rave-Kid oder kopfnickende Autechre-Connaisseure – Two Shell spricht sie beide an. Für die Jury: Cristina Plett

Electronic und Experimental

Pascal Plantinga: Das Volk ist ein fressender Kadaver

CD/LP/Digital, Blowpipe 9789059396760 (Broken Silence)

Pascal Plantinga ist ein ungewöhnlicher Charakter in der niederländischen Musikszene. Seine Veröffentlichungen sind eher spärlich, seit 2003 gab es gerade mal fünf Alben. Dabei zeigte er früh eine abenteuerliche Nähe zu einem deutschen Akteur wie Pyrolator (Der Plan), der nun auch »Das Volk ist ein fressender Kadaver« produzierte. Hier erzählt der Mann aus Hilversum in fünfzehn faszinierenden Songs, zu einer musikalischen Neudefinition von Elektro-Jazz-Punk, über eine erleuchtete Hula-Tänzerin; oder auch davon, dass wir in dieser unheilvollen Zeit vielleicht wieder so jemanden wie Kennedy bräuchten. Für die Jury: Olaf Maikopf

Blues

Warren Haynes: Million Voices Whisper

CD/2 LPs, Fantasy Records 00888072651777 (Universal)

Der Geist der legendären Allman Brothers Band durchweht dieses exzellente Album, das Warren Haynes unter Mithilfe von Derek Trucks und John Medeski dort angesiedelt hat, wo Southern Rock, Blues, Soul und Funk aufeinander treffen. Elf Songs, mit denen man sich entspannt treiben lassen kann, die einen sogartig mitnehmen in Sphären, in denen Gitarrenduette nicht in Scharmützel ausarten, sondern Flügel bekommen und wohliges Kribbeln hervorrufen. Zehn Highlights und eine Schlussnummer, die sich über knappe zehn Minuten erstreckt. Was für ein Fest, durchaus nicht nur für Gitarrenfreaks! Für die Jury: Karl Leitner

R&B, Soul und Hip-Hop

Allysha Joy: The Making Of Silk

CD/LP/Digital, Légère Recordings LEGO 336 (Broken Silence)

Die Australierin mit der markanten, rauhen und zugleich warmen Stimme, mit dem Fender-Rhodes-Sound und dem komplexen und dennoch eingängigen Songwriting, produzierte ihr Album »The Making Of Silk« komplett im Alleingang. Es ist Allysha Joys bisher persönlichstes Œuvre, mit dem klar wird, dass sie zu den besten Sängerinnen und Komponistinnen im kontemporären Soul-Jazz zählt. Dazu braucht es -wie bei Erykah Badu, Cleo Sol oder Nai Palm – stets ein Alleinstellungsmerkmal; und das hat Allysha Joy. Im Blindtest ist sie sofort wiedererkennbar. Und das englische »She will go places« trifft hier voll zu. Für die Jury: Michael Rütten

Wortkunst

Liquid Penguin Ensemble: Vokabelmeer

Stefan Merki, Katharina Bihler, Musik: Carl Ludwig Hübsch, Stefan Scheib, Wolfgang Schliemann, Regie: Katharina Bihler, Stefan Scheib. Stream, SR/BR

»Vokabelmeer« vom Liquid Penguin Ensemble (das sind Katharina Bihler und Stefan Scheib) ist eine akustische Reise durch das »Allgemeine Deutsche Glossarium« des Basler Gelehrten Johann Jakob Spreng (1699-1768). Das Hörspiel erkundet historische, biografische und klangliche Aspekte dieses seit 1740 entstandenen etymologischen Wörterbuchs der deutschen Sprache. Die spielerische Recherche vom Liquid Penguin Ensemble bringt das sprachliche Material zum Klingen, und die subjektiven poetischen Wortfindungen Sprengs werden in der Komposition zu einem radiophonen Erlebnis. Für die Jury: Michael Grote

Illustration: © Marie Kribelbauer / Mit Hilfe von KI erzeugt

Kinder- und Jugendaufnahmen

Kornelia Wald, Houssein Kahin: Die Tasche

Ungekürzte szenische Lesung. Mo Issa, Max Hegewald, Via Jikeli, Luise von Finckh, Sounddesign: Valentin Rövenstrunck, Regie: Josef Ulbig. mp3-CD, Der Audio Verlag ISBN 978-3-7424-3300-8

Wie rasch mit gezielter Desinformation ein lebensbedrohlicher Verdacht entstehen kann, zeigt dieses Lehrstück über Toleranz und Vorurteile: Der Vorzeigeschüler Mohammed soll einen Diversity-Preis entgegennehmen – und hält das für verlogen. Man versteht nicht gleich, aber spürt: diese Geschichte steuert auf eine Katastrophe zu – wegen einer vergessenen Tasche. Ein fulminantes Debüt der Lehrerin Kornelia Wald und ihres ehemaligen Schülers Houssein Kahin. Regisseur Josef Ulbig inszeniert mit jungen Stimmen sowie einem beängstigend guten Sounddesign diese spannende und absolut glaubwürdige Geschichte. Für die Jury: Carola Benninghoven

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