Jahrespreise

Einmal jährlich trifft sich der Jahresausschuss des PdSK e.V., um zehn Jahrespreise für die besten Produktionen des zurückliegenden Jahres zu bestimmen. Im Jahresausschuss arbeiten zehn Jurorinnen und Juroren aus verschiedenen Fachjurys zusammen. Die Besetzung des Jahresausschusses rotiert. Die Nominierungen für evtl. Jahrespreise obliegen der Gesamtheit aller Jurorinnen und Juroren. Jahrespreise werden im Rahmen öffentlicher Konzertauftritte oder Literaturlesungen (im Bereich Wortkunst) an die Preisträger verliehen. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jedem Preisträgerjahrgang hinterlegt.

Jahrespreise

Händel: Deidamia / Alan Curtis

Georg Friedrich Händel: Deidamia
Simone Kermes, Anna Bonitatibus, Dominique Labelle, Anna Maria Panzarella, Furio Zanasi, Antonio Abete; Il Complesso Barocco, Alan Curtis
Produktion: Laurence Haym, Virgin Classics; Tonmeister: Valter B. Neri
Virgin Veritas 5 45 550-2 (3 CD), Vertrieb: EMI

Deidamia ist Händels letzter Versuch, dem Genre der Opera seria neue Seiten abzugewinnen: ein von weisem, leisem Humor, aber auch von Zynismus und Melancholie geprägtes Spätwerk. Die vielen Gesichter, die Brüche des Stückes sowie seine dramaturgische Logik sind bisher nicht auf Tonträger eingefangen worden. Der Einspielung unter Alan Curtis gelingt das in herausragender Weise. Die Sängerbesetzung ist klug zusammengestellt. Und sie kann mit Händels musikalischer Rhetorik umgehen: Schicksale werden sensibel vorgeführt, aber nicht im Subjektivismus späterer Epochen erstickt. Il Complesso Barocco findet die wechselnde Balance zwischen Diskretion und Autonomie. Klangphantasie und Reaktionsfähigkeit aller Beteiligten und eine subtil eingesetzte Tontechnik sorgen nicht nur für theatralisches Feuer: Selten hat man dem Medium Schallplatte so viel Intimität abgewonnen.

Beethoven: Violonsonaten / Augustin Dumay & Maria João Pires

Beethoven – sämtliche Violinsonaten
Augustin Dumay, Maria João Pires
Aufnahmeleitung: Helmut Burk
Deutsche Grammophon 471 495-2 (3 CD)
Vertrieb: Universal

An Aufnahmen von Beethovens Violinsonaten herrscht wahrlich kein Mangel. In dieser neuen liegt das Spektakuläre im Unspektakulären: Alle Ideale kammermusikalischen Musizierens finden zueinander, wenn Augustin Dumay und Maria João Pires ihre Positionen, je nach Bedeutung im kompositorischen Gefüge, absolut gleichrangig und einander respektierend wechseln. Hier wird Beethoven so sensibel und nuanciert ausgeleuchtet und ausgelotet, dass sich ein wahrer Mikrokosmos emotionaler Beziehungen vor dem Hörer entfaltet. Wenn es so etwas wie eine musikalische Organik gibt, vielleicht das eigentliche Wesen der Wiener Klassik, dann wird es hier mit spieltechnischer Perfektion beglückend realisiert.

Berlioz / Marc Minkowski

Hector Berlioz:
Symphonie fantastique; Herminie
Aurélia Legay, Mahler Chamber Orchestra, Les Musiciens du Louvre, Marc Minkowski
Produktion: Arend Prohmann, Deutsche Grammophon
Tonmeister: Gernot von Schultzendorff
Deutsche Grammophon 474 209-2
Vertrieb: Universal

Die CD-Ernte des Berlioz-Jahres 2003 ist nicht besonders reichhaltig. Und doch sticht unter den wenigen Veröffentlichungen eine hervor, die sich ausgerechnet seinem meist eingespielten Werk widmet: der Symphonie fantastique. Marc Minkowski versteht es vom ersten Takt an, den Hörer durch eine ungewöhnlich gespannte, drangvolle Sichtweise des Werkes zu bannen. Auch die Verschmelzung der beiden Klangkörper Les Musiciens du Louvre und das ebenfalls auf zeitgenössischen Instrumenten spielende Gustav Mahler Chamber Orchestra ist geglückt. Zu hören ist eine Interpretation, die die kleinteilig barocke Artikulation und Affektenlehre Glucks an dessen Apologeten Berlioz heranträgt und besonders im genau ausgeleuchteten Detail die funkensprühende Brillanz dieses genialen Orchestrators aufscheinen lässt. Die Scène lyrique Herminie bietet eine gelungene Ergänzung.

György Kurtág – Signs, Games and Messages

Hölderlin-Gesänge … pas à pas – nulle part …
Kurt Widmer, Hiromi Kikuchi, Ken Hakii, Stefan Metz, Mircea Ardeleanu
Produktion: Manfred Eicher, ECM Records; Tonmeister: Markus Heiland
ECM New Series 1730 (461 833-2)
Vertrieb: Universal

Sein nach einer schweren Krise radikal vereinfachtes Komponieren hat der 1926 geborene Ungar György Kurtág in seinem als work in progress zu begreifenden Spätwerk nochmals vorangetrieben. Kurtágs Hölderlin-Gesänge und Vertonungen Beckettscher Gedichte künden eindringlich davon, wie sich Musik und Sprache in völliger Autonomie begegnen. Die vorliegende Dokumentation eines auf knappste Gesten ausgerichteten Spätstils formt neunundfünfzig Miniaturen als bestürzendes Welttheater. Es wird in seiner Kargheit vorzüglich gestaltet und nimmt die schwarzen Pausen des Stillschweigens ebenso ernst wie die Ausbrüche aller stimmlichen und instrumentalen Laute. Im Zusammenspiel von bekenntnishaftem Schlüsselwerk und auch klanglich makelloser Interpretation entsteht – abgerundet durch ein vorbildlich angelegtes Booklet – ein überwältigendes Plädoyer für die zeitlose Avantgarde einer großen Künstlerpersönlichkeit.

Die Orgeln von Gottfried Silbermann Vol. 1–8

Werke von Johann Sebastian Bach, Johann Pachelbel, Friedrich Wilhelm Marpurg u.a.
Ewald Kooiman, Felix Friedrich, Jean Ferrard, Martin Haselböck, Ulrich Böhme, Wolfgang Baumgratz, Dietrich Wagler, Hansjürgen Scholze
Produktion: Klaus-Jürgen Kamprad; Aufnahmeleitung: Christian Frank, Thomas Ratzak
querstand VKJK 0022, 0207, 0219, 0220, 0302/0305 (8 CD, einzeln erhältlich)
Vertrieb: Musikwelt, Münster

Juwelen der Barockzeit sind die Orgeln von Gottfried Silbermann (1683–1753). Dass ihre optische Faszination vom Klang überhöht wird, wussten die Zeitgenossen, die von den »übermäßig schönen Instrumenten« schwärmten und sie ob ihrer klanglichen Ausdrucksbreite von Schärfe und Lieblichkeit rühmten. Der »virtuose Sachse« hat zahlreiche Komponisten angeregt, für seine Instrumente zu schreiben. In den vorliegenden CDs spürt man diese reizvollen Herausforderungen und wird an Orte geführt, die eher abseits der großen Reiserouten liegen. Auch die Programme folgen diesem Konzept und orientieren sich nicht nur am großen Johann Sebastian Bach, sondern mehr noch an den mitteldeutschen Komponisten des 17. und 18. Jahrhunderts. In der Verbindung mit den neu restaurierten Orgeln entdeckt man so ausgesprochen reizvolle Werke. Die verschiedenen Organisten dieser CD-Reihe – allesamt Liebhaber und Experten – nutzen mit ihrem einfühlsamen Spiel geschickt Kirchenräume und Dispositionen der 32 Orgeln. In den ansprechend gestalteten Begleitheft kann man seine Kenntnisse vertiefen und das Hören als kleine unterhaltsame Reise erleben.

Aimee Mann

Lost in Space
Produktion: Michael Lockwood
Super Ego Records VVR 1020 882
Vertrieb: Zomba

Die Amerikanerin Aimee Mann ist eine der großen Verkannten in der Rockmusik. Längst gehört es zum guten Ton unter den Verächtern der Industriemechanismen, die Autorin, Sängerin und Gitarristin als eine Art Sister Courage zu verehren, die unermüdlich gegen die Bollwerke des Establishments ansingt. Wie die bisherigen Platten aus ihrer Behauptungskampfkarriere mag ihr aktuelles Album der Wut über die Unmöglichkeiten der Welt entsprungen sein, gehört aber dennoch zu den Highlights des echten, guten Rock. Auf ihnen wird alles besungen, was über die Liebe, die Glücksmomente und die langen Schatten des Leids zu erzählen ist. Die Musik dazu ist klug, vielfarbig instrumentiert: Aimee Manns vielleicht größte Kunst ist es, intelligente Lieder zu schreiben, die seltsam vertraut klingen, als hätte man sie schon immer in sich getragen.

Wayne Shorter

Alegría
Mit Danilo Perez, Brad Mehldau, John Patitucci, Brian Blade
Produktion: Robert Sadin; Aufnahmeleitung: Clark Germain
Verve 543 558-2
Vertrieb: Universal

Wayne Shorter, der am 25. August 2003 seinen 70. Geburtstag feiern konnte, hat seit vielen Jahren seinen festen Platz in der Jazzgeschichte. Alegría ist seine neueste Produktion, eine Sammlung von feinmaschig strukturierten Studioaufnahmen des arrivierten amerikanischen Saxophonisten und Komponisten, in der er sich mit unterschiedlichen Besetzungen präsentiert. Wer nach der Zukunft des Jazz fragt, findet hier mit jedem Titel neue einleuchtende Antworten. Shorters Musik kommt unerhört und unberechenbar und doch jedes Mal verblüffend einfach daher. Fest in der Tradition verwurzelt, stößt der Saxophonist dabei über die Grenzen des Jazz hinaus, vereinnahmt südamerikanische Einflüsse ebenso selbstverständlich wie Elemente des europäischen Impressionismus, und seine raffinierten Arrangements bereiten den Boden für die von Einfällen sprühenden, reichen und gleichsam hochkonzentrierten Improvisationen auf Tenor- und Sopransaxophon.

Walter Moers / Dirk Bach

Walter Moers
Die 13 Leben des Käpt’n Blaubär
Gelesen von Dirk Bach
Produktion: Hessischer Rundfunk; Regie: Claudia Gehre, Thomas Krüger
Lido ISBN 3-8218-5159-7 (16 CD)
Vertrieb: Eichborn, Frankfurt

Lügen, Lügen, nichts als Lügen – geschlagene 1101 Minuten tischt Käpt’n Blaubär ein aberwitziges Abenteuer nach dem anderen auf. Dirk Bach macht wahr, was die Leser des Buchs von Walter Moers kaum für möglich hielten: Blaubär lebt, Bach animiert ihn von der ersten winzigen Erscheinungsform in einer Nuss-Schale auf dem wilden Meer bis zum treusorgenden Bärenvater im friedlichen Wald. Aber auch all den mehr oder weniger schrägen Charakteren und fabelhaften Wesen seiner Erzählungen verleiht der Komödiant glaubhaft Stimme. Wer lügt, muss ein gutes Gedächtnis haben, und Dirk Bachs Lügennetz weist wahrlich keine Lücken auf. Wann immer unverhofft Gestalten aus Käpt’n Blaubärs früheren Leben wieder auftauchen, verschafft ihnen der Erzähler detailgenau in Rhythmus, Tonfall, Akzent und Timbre Gehör. Mit Lust und Witz stürzt sich Bach in die Geschichten, ohne auch nur einmal billigen Klamauk zu bemühen. Seine Lügen haben also keine kurzen Beine, sondern auf höchst amüsante Art einen langen Atem. Sie machen Spaß, weil Dirk Bach mit jedem Satz die Weisheit offenbart: Lügen ist menschlich. Dabei ist die ganze Wahrheit nur die halbe Lüge, schließlich hat Autor Walter Moers nur über 13 von den insgesamt 27 Leben des Käpt’n Blaubär Buch geführt.

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