Der Jazz-Garant
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Der Jazz-Garant

Als Kurator, Kritiker und Juror hat er Maßstäbe gesetzt: Erinnerungen an Ulrich Olshausen

06.12.2024 – In einer inzwischen legendären Fernsehsendung des WDR vom Mai 1967 ging es um die Frage: Wie verständlich ist der Free Jazz? Neben einer musikalischen Konfrontation der Gruppen von Klaus Doldinger und Peter Brötzmann diskutierte eine siebenköpfige Expertenrunde über das Thema »Free Jazz vs. Pop-Jazz«. Dabei stand die Mehrzahl der versammelten Journalisten dem New Thing, das in den USA mit Namen wie Ornette Coleman, Cecil Taylor oder Archie Shepp verbunden war, äußerst skeptisch gegenüber und belegte die bundesdeutsche Spielart des Free Jazz mit Vokabeln wie »musikalischer Verkehrsunfall« oder »Klang-Gemetzel«. Allein Ulrich Olshausen, der gerade erst im Hessischen Rundfunk die Jazzredaktion übernommen hatte, versuchte vorsichtig tastend, zwar auch mit einer gesunden Skepsis ausgestattet, das revolutionär Neue am »Neuen Jazz« zu ergründen. Klug zurückhaltend, nie auftrumpfend, stattdessen unaufdringlich kompetent kam Olshausen zu dem damals provokanten Urteil über die freie Spielweise: »Es ist ein sehr viel tieferer Dialog, der hier stattfindet, als das früher der Fall war.« Wie meinungsstark, immer klar und unbestechlich er in dieser Diskussionsrunde auftrat, war absolut charakteristisch für ihn.

Sein Leben lang konnte sich Olshausen seine Neugier und Offenheit bewahren, die ihn für Neues empfänglich machte. Irgendwelchen Moden ist er nie hinterher gehechelt, sondern hat ruhig analysiert, was wirklich innovativ und wichtig war, über den Tag hinaus. Als Rundfunkredakteur, Jazzjournalist, Moderator auf Festivals und in Konzerten, Mitglied in zahlreichen Jurys – so auch jahrzehntelanger Juror beim »Preis der deutschen Schallplattenkritik« – hat er die deutsche Jazzszene nachhaltig geprägt. Dabei schien sein beruflicher Weg zunächst in eine andere Richtung zu weisen: Nach einem Fagott-Studium an der Frankfurter Musikhochschule, einem an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt angeschlossenen Studium der Musikwissenschaft, promovierte Olshausen 1964 zum Thema »Das lautenbegleitete Lied in England um 1600«.

Doch die Verlockungen in den 1960er Jahren, als Frankfurt dank der zahlreichen GI-Clubs, des »Jazzkellers« und des hier seit 1953 stattfindenden Deutschen Jazzfestivals langsam zur »Jazzhauptstadt Deutschlands« avancierte, waren für Ulrich Olshausen – zum Leidwesen seiner Lehrer – einfach zu groß. So begann er 1965 Jazzkritiken für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« zu schreiben, war aber dank seiner zwischenzeitlich abgeschlossenen Tontechnikerausbildung für das Radio geradezu prädestiniert. Olshausens Sendung »Der Neue Klang im Jazz« hielt die Jazz-Community in Deutschland in den 1970er und 1980er Jahren beständig über das aktuelle Jazzgeschehen auf dem Laufenden. Auf dem Deutschen Jazzfestival Frankfurt, dessen programmatischer Motor Olshausen mehr als vierzig Jahre lang war, lag ihm die Nachwuchsförderung besonders am Herzen. In Newcomer -Konzerten ebnete er jungen Jazzbegeisterten den Weg – später empfand er solche speziellen Konzerte als zu „diskriminierend’’ und integrierte die junge Szene kurzerhand ins Hauptprogramm. Olshausen führte zudem das „hr-Jazzensemble, diese älteste kontinuierlich bestehende Jazzcombo in Deutschland, zu ungeahnter Blüte. Unvergessen sind seine Produktionen mit internationalen Stars, die nur allzu gern als Gäste im hr-Jazzensemble mitwirkten.

Doch in seiner ganzen Jazz-Begeisterung sah sich Olshausen dem Credo verpflichtet »Wer nur etwas von Jazz versteht, versteht auch von Jazz nichts.« Sein Herz schlug deshalb immer auch für die internationale Folklore, hier besonders für die irische Volksmusik. Gleichwohl kannte er sich in der sardischen oder portugiesischen Folkszene bestens aus. Und wer über die stilistischen Eigenheiten von Frank Zappa, Jimi Hendrix oder Whitney Houston diskutieren wollte, hatte in ihm den idealen Gesprächspartner gefunden. Verschmitzt, hochgebildet, mit oft hintergründigem Humor und einer seltenen Bescheidenheit gesegnet, war Ulrich Olshausen immer da, wenn seine musikjournalistische Kompetenz gebraucht wurde. Jetzt ist der »ewig junge Enthusiast« am 30. November im Alter von 91 Jahren in seiner Heimatstadt Frankfurt gestorben.

(Für den PdSK: Peter Kemper)

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