Bestenlisten

Mit einem Platz auf der Bestenliste werden vierteljährlich die besten und interessantesten Neuveröffentlichungen der vorangegangenen drei Monate ausgezeichnet. Bewertungskriterien sind künstlerische Qualität, Repertoirewert, Präsentation und Klangqualität. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jeder Bestenliste hinterlegt.

Bestenlisten

Orchestermusik und Konzerte

Gustav Mahler: Symphonie Nr.1

Budapest Festival Orchestra, Iván Fischer. Channel Classics CCS SA 33112 (Codaex)

Iván Fischer und sein Budapest Festival Orchestra stellen hier zum wiederholten Mal unter Beweis, dass sie zur internationalen Spitze gehören. Diese Einspielung von Gustav Mahlers erster Symphonie besticht durch dunkle, warme Orchesterfarben und gemäßigte Tempi, die gleichwohl den großen spannungsvollen Bogen zulassen: Dynamische Kontrastierung, akribische Detailarbeit sind eingebettet in die ruhige Souveränität des Musizierens. Und alles, was man von Mahlers Erster erwartet, ist fein herausgearbeitet: Naturlaute, folkloristische Anklänge, Liedzitate, böhmische Impressionen. Für die Jury: Peter Stieber

Kammermusik

Korngold – camerata freden

Erich Wolfgang Korngold: Streichsextett D-Dur op.10, Klavierquintett E-Dur op.15. camerata freden. Tacet 198 (Musikvertrieb Johannes Gebhardt)

Von der frühen Meisterschaft des jungen Korngold sprechen diese beiden spätromantischen Kammermusikwerke, die er als Neunzehnjähriger (bzw. Vierundzwanzigjähriger) komponiert hat. In ihrer satztechnischen Delikatesse, in der Eleganz der polyphonen Stimmführung und in der schier zauberischen Leichtigkeit der Melodieerfindung sind sie dringend die Entdeckung fürs Repertoire wert. Die Camerata Freden von den Internationalen Fredener Musiktagen tat jetzt den ersten Schritt dazu mit dieser fabelhaft ausbalancierten, energisch und präzis musizierten Referenzeinspielung. Für die Jury: Eleonore Büning

Tasteninstrumente

Johann Sebastian Bach: Das Wohltemperierte Clavier

András Schiff. 4 CDs ECM New Series 2270-73 4764827 (Universal)

Zum zweiten Mal hat András Schiff das komplette »Wohltemperierte Klavier« aufgenommen. Mit dieser Edition zieht er die Summe aus seiner jahrelangen Beschäftigung mit Bach, herausragend das selbst im Fugendickicht immer transparent leuchtende Klavierspiel, direkt und farbenreich im Anschlag, sprechend in der Melodiebildung, sparsam im Pedalgebrauch. Für die Jury: Christoph Vratz

Tasteninstrumente

Maurice Duruflé: Sämtliche Orgelwerke

Vier Motetten über gregorianische Themen op.10, Requiem op.9. Bo Skovhus, Randi Stene, Henrick Brenstrup, Kristian Krogsøe, Aarhus Cathedral Choir, Vocal Group Concert Clemens, Carsten Seyer-Hansen. 2 CDs Danacord DACOCD726 (Klassik Center)

Ein Doppelalbum, bei dem alles stimmig ist, angefangen vom edlen Layout über das ebenso kraftvolle wie gelassenes Orgelspiel von Kristian Krogsøe bis hin zur feinsinnigen Interpretation des Requiems und der Motetten durch den Aarhus Cathedral Choir und die anderen beteiligten Ensembles. Eine Referenzaufnahme von großem Repertoirewert. Für die Jury: Michael Gassmann

Oper

Wolfgang Amadeus Mozart: Don Giovanni

Diana Damrau, Joyce DiDonato, Mojca Erdmann, Ildebrando d’Arcangelo, Rolando Villazón, Luca Pisaroni, Mahler Chamber Orchestra, Yannick Nézet-Séguin. 3 CDs DG 477 9878 (Universal)

Es gibt schon einige sehr gute Einspielungen von Mozarts Don Giovanni – dennoch spricht diese stilistisch eher unspektakuläre Neuproduktion für sich: Sie hat herausragende Sängerinnen, gute Sänger und einen Dirigenten, unter dem die Mozartsche Musik mit der Faszination der (scheinbaren) Natürlichkeit atmet, ja, damit sogar atemberaubende Momente erzielt. Für die Jury: Martin Elste

Klassisches Lied und Vokalrecital

Christian Gerhaher – Ferne Geliebte

Ludwig van Beethoven: An die ferne Geliebte op.98; Arnold Schönberg: Das Buch der hängenden Gärten (George-Lieder) op.15; Alban Berg: Altenberg-Lieder op.4; Joseph Haydn: Vier Lieder. Christian Gerhaher, Gerhold Huber. Sony 0886919354324

Wenn der Bariton Christian Gerhaher ein Plattenalbum konzipiert, steckt immer ein kluger Kopf dahinter. Jetzt hat er mit seinem Klavierpartner Gerold Huber drei wegweisende Liederzyklen der ersten und zweiten Wiener Schule kombiniert. Beethoven steht Schönberg gegenüber, Berg wird mit Haydn konfrontiert. Magische Momente, in Realisation und Darbietung! Für die Jury: Albrecht Thiemann

Alte Musik

La Fiesta de Pascua en Piazza Navona

Werke von Tomás Luis de Victoria, Jacobus de Kerle, Giovanni Perluigi da Palestrina u.a. La Grande Chapelle Albert Recasens. 2 CDs Lauda LAU 012 (Note 1)

Eine Rekonstruktion, die in grandioser Interpretation den Soundtrack zu einem glanzvollen Kirchenfest im Rom der Spätrenaissance liefert. Alljährlich richtete die spanische Brüderschaft von San Giacomo degli Spagnoli Ostergottesdienste und Prozessionen aus. Das Album stellt Werke von Tomás Luis de Victoria und weiteren Meistern dieser Zeit in den Kontext einer liturgischen Dramaturgie und fügt die Vielfalt der vokalen und instrumentalen Satztypen, von der schlichten Lauda bis zur polyphonen Motette, von Trompetenfanfaren bis zum kontrapunktischen Ricercar, zu einem leuchtenden Spannungsbogen. Für die Jury: Martin Mezger

Alte Musik

Jean Richafort: Missa pro Defunctis

(Requiem in memoriam Josquin Desprez); Josquin Desprez: Faulte d’Argent, Nymphes des Bois, Miserere mei Deus; Nicolas Gombert: Musae Jovis; Jheronimus Vinders: O mors inevitabilis; Benedictus Appenzeller: Musae Jovis. Ensemble Cinquecento. Hyperion CDA 67959 (Codaex)

Diesmal macht das Ensemble »Cinquecento« seinem Namen wirklich Ehre, denn es setzt sich für einen bislang kaum im Katalog vertretenen frankoflämischen Komponisten des frühen 16. Jahrhunderts ein. Mehr noch, dieses Requiem von Jean Richafort, vermutlich dem Andenken von Josquin Desprez gewidmet, wird in den Kontext seiner Zeit gerückt. Begeisternd die Stimmkultur des Ensembles, einmal mehr stellen die sechs Sänger von »Cinquecento« ihre überragende Kompetenz für die Interpretation dieser hochartifiziellen Renaissance-Polyphonie unter Beweis. Für die Jury: Uwe Schweikert

Zeitgenössische Musik

Katharina Rosenberger: Texturen

Wet Ink Ensemble. Hat Hut Records, HatArt 186 (harmonia mundi)

In Katharina Rosenbergers fein gewirkten »Texturen« rumoren unheimliche Kraftfelder. Hier erblüht die Poesie märchenhafter Klangzauberei, überwältigt der prickelnde Schauder des Numinosen. Und die musikalische Präsenz aller Interpreten potenziert noch den winzigsten Geräuschfunken und dessen Echos aus fremden Welten: ein psychedelischer Trip durch einen multimedialen Geschehensraum. Für die Jury: Helmut Rohm

Historische Aufnahmen

Wanda Wilkomirska – Tschaikowsky, Moniuszko

Benjamin Britten: Violinkonzert op.15; Peter Tschaikowsky: Symphonie Nr. 4 f-moll op.36; Stanislaw Moniuszko: Mazur, aus: »Straszny dwór«. Wanda Wilkomirska, Witold Rowicki, Warsaw Philharmonic Orchestra. Orchestral Concert Cds. CD 12/2011

Wanda Wilkomirska präsentiert sich hier als eine der großen Erzählerinnen auf der Violine. Sie spielt eines der wichtigsten Konzerte des 20. Jahrhunderts, und die Aufnahmetechnik ist sensationell. Eine unwiederholbare Konstellation. Für die Jury: Wolfgang Wendel

Grenzgänge

Songs for Kommeno

Günter Baby Sommer & Ensemble. Intakt Records CD 190 (harmonia mundi)

Dem Schlagzeuger Günter Baby Sommer ist es gelungen, aus der Erinnerung an ein tragisches Ereignis ein tief berührendes Werk zu schaffen. Anlässlich eines Konzerts in dem kleinen griechischen Ort Kommeno wurde Sommer mit der Tatsache konfrontiert, dass die deutsche Wehrmacht dort im Jahr 1943 mehr als dreihundert Zivilisten ermordet hat. Aus unmittelbarer Betroffenheit und aus Begegnungen mit Überlebenden entstanden die »Songs for Kommeno«. Gemeinsam mit der Sängerin Savina Yannatou und Musikern aus Griechenland hat Sommer einen Zyklus voller Dramatik und Nachdenklichkeit gestaltet. Für die Jury: Bert Noglik

Filmmusik

Maurice Jarre: Topaz, L’etau

Emarcy Records 273 0540 (Universal)

Diese Veröffentlichung schließt eine Lücke: Endlich ist Maurice Jarres Soundtrack zu Alfred Hitchcocks Thriller »Topas« vollständig in der Originaleinspielung von 1968 zu hören. Kompositorisch bleibt Jarre hier seinem Stil treu. Markante Dreivierteltakt-Rhythmik im Leitmotiv, osteuropäische Saiteninstumente nebst Schlagzeug und mittendrin ein schmissiger Marsch vereinen sich beispielhaft zu jener komplexen und doch stets eingängigen Linienführung, die Jarre zu einem der unverkennbaren und erfolgreichsten Filmkomponisten des 20. Jahrhunderts gemacht haben. Für die Jury: Uwe Mies

Musikfilm

How to get out of the Cage

A year with John Cage. Ein Film von Frank Scheffer. Euroarts 2059168 (Naxos)

Der niederländische Regisseur Frank Scheffer lernte 1982 eher zufällig John Cage kennen, woraus eine zehnjährige Zusammenarbeit entstand. Beide trafen sich immer wieder zu Gesprächen, die erfrischend unkonventionell gerieten. Scheffer hat sein Cage-Material jetzt zu einem faszinierenden Portrait des Komponisten zusammengefasst. Die fragmentarischen Züge des Films passen ganz ausgezeichnet zu Cages Denk- und Komponierweise. Für die Jury: Helge Grünewald

Jazz

Bill Evans: Momentum

2 CDs. Limetree MCD 0043 (SunnyMoon)

Jedes zweite Jazz-Klaviertrio bedient sich heute bei Evans, ganz so als wären die Aufnahmen seiner Trios ein gigantischer Steinbruch. Da ist es erfrischend, dass immer wieder posthume Aufnahmen erscheinen. Dieser Mitschnitt eines Konzertes, das am 4. Februar 1972 in Groningen stattfand, beglückt, auch wenn weder die Wahl der Mitmusiker – seine regulären Wegbegleiter Eddie Gomez (5) und Marty Morell (d) – noch das Repertoire dem Kenner Unerwartetes bieten. Da die drei aber Inspiration und Interaktion auf Höchstniveau vorführen, kann man »Momentum« vorbehaltlos empfehlen, zumal auch Aufmachung und Begleittexte des Inhalts würdig sind. Für die Jury: Marcus A. Woelfle

Weltmusik

Warsaw Village Band: Nord

Jaro 4308-2

Das fünfte Album der Warsaw Village Band weitet den Blick auf die gemeinsamen Traditionen von Slawen, Wikingern, Inuit, kurzum: auf die Idee des Nordens. Heraus kommt dabei eine geradezu beschwörende Ritualmusik, tief verwurzelt in der Tradition, aber diese souverän ins 21. Jahrhundert übersetzend, mit eindringlichen Grooves, vielschichtigen Vokalarrangements und melancholischen Klangflächen. Für die Jury: Peter Schulze

Liedermacher

Hannes Wader: Nah dran

Mercury Records 701 8871 (Universal)

Dieses Album mit zwölf tiefenscharfen Texten/Kompositionen von Hannes Wader ist ganz nah dran an seinem Klassiker »7 Lieder« von 1972. Und das aktuelle Intro »Dass wir so lang leben dürfen« (nach einem Gedicht des Erzpoeten Manfred Hausin) könnte zu einem Wader-Evergreen reifen, wie mit »Heute hier, morgen dort«, dem Intro vor exakt vierzig Jahren, längst geschehen. Für die Jury: Jochen Arlt

Folk und Singer/Songwriter

Carolina Chocolate Drops: Leaving Eden

Nonesuch 1945598 (Warner)

Musik aus alten Tagen wird von Carolina Chocolate Drops ins Hier und Jetzt überführt, weit entfernt von musealen Authentizitätsbedenken. Country-Roots der zwanziger und dreißiger Jahre gehen zusammen mit Gospel, Jazz, Soul und einem Hauch HipHop, das ist frisch, lebendig und unbedingt hörenswert. Für die Jury: Imke Turner

Pop

Dexys: One Day I’m Going To Soar

Buback Tonträger 967712 (Indigo)

In elf Kapitel erzählt dieses neue Album von Kevin Rowland und seiner Band Dexys die Liebesgeschichte eines Mannes um die fünfzig. Darin verbindet sich die Sehnsucht des Soul mit der Wut des Punk: ein Leben zwischen Streicherseligkeit, Bläserjubel und Paukenzorn. Selten klang Erwachsenen-Pop so beseelt und vor allem: wahrhaftig. Für die Jury: Philipp Holstein

Independent (bis 2014)

Matthew Dear: Beams

Ghostly International GI 155 (Alive)

Matthew Dear singt mit roboterhafter Stimme vom Balancieren am psychischen Abgrund. In die Gothik-Düsternis der achtziger Jahre webt der New Yorker Produzent die Synthie-Sounds der Gegenwart, er setzt auf seinem neuen Album einmal mehr seine eigenwillige Vorstellung von der Verbindung von Track und Lied gekonnt um. Für die Jury: Jumoke Olusanmi

Nu & Extreme (bis 2014)

Cooly G: Playin’ Me

Hyperdub 00055536 (cargo records)

Ganz unaufgeregt bündelt die Londoner Produzentin Cooly G das Erbe britischer Black Music. Sie bewegt sich in verschiedensten Ausführungen ihrer mal melancholischen, manchmal romantischen Songs in Richtung einer latenten Bedrohlichkeit im Sound. Die Vocals sind immer auch süße Verführung, zugleich ein subtiles Versprechen. Sie atmen den Soul der achtziger Jahre und stehen im Gegensatz zu den düster-kühlen Synthie-Chords und den ins Polyrhythmische gleitenden Beatkanonaden, in denen unterschwellig der Breakbeat der Neunziger mitbebt, unterlegt mit glasklaren Subbässen. Für die Jury: Götz Adler

Blues

Plug It In! Turn It Up! Electric Blues Vol.1-4.

Various Artists. 12 CDs. Bear Family Records. BCD 16925/30/32/38 CP 26666-6 (Delta Music)

Ein Standardwerk in Sachen Electric Blues, das über fünfzehn Stunden Musik präsentiert, und zwar nicht nur »Hits« dieses Genres, sondern auch die schwer zugänglichen Raritäten. Wegen der labelübergreifenden Vorgehensweise bei der Auswahl des Materials gibt es tatsächlich keine erkennbaren Lücken, wer im elektrischen Blues je wichtig war, der kommt hier vor. Dazu ein Begleitheft mit 652 Seiten – ein Gesamtpaket, das Bluesherzen höher schlagen lässt. Für die Jury: Karl Leitner

R&B, Soul und Hip-Hop

Frank Ocean: Channel Orange

Island 2871567 (Universal)

Mit »Channel Orange« ist dem in Los Angeles ansässigen Frank Ocean ein Album gelungen, das den zeitgenössischen Sound von R&B und Neo Soul mühelos in eine musikalische Erzählung einreiht, für die Marvin Gaye, Prince, D’Angelo und Erykah Badu die vorangegangenen Kapitel geschrieben haben. Dabei verbinden Ocean und sein musikalischer Partner Malay das Sanfte von Drake und das Dunkle von »The Weeknd« in ungewohnt ehrlichen Geschichten, die von Wohlstandverwahrlosung handeln, von Religion und von Sex. Kein Album für die ganze Familie – aber unbedingt eines für die Bestenlisten 2012. Für die Jury: Christian Tjaben

Wortkunst

James Joyce: Ulysses

Regie und Musik: Klaus Buhlert. Mit Manfred Zapatka, Corinna Harfouch, Jens Harzer u.a. 23 CDs, Der Hörverlag, München ISBN 978-3-86717-846-4

Das ist Wort- und Klangkunst at its best! Mit einem Ensemble herausragender Schauspieler lässt uns der Regisseur und Komponist Klaus Buhlert eintauchen in das Dublin des 16. Juni 1904 und in die Erlebnisse und Erinnerungen der im »Ulysses« von James Joyce agierenden »Helden«. Akustisch und musikalisch ist Buhlerts Hördrama diesem Meisterwerk der Moderne kongenial abgelauscht. Das informative Beiheft verweist auf Homers antike Vorlage, die dem Werk in seiner Struktur als Folie unterliegt. Für die Jury: Wolfgang Schiffer

Kinder- und Jugendaufnahmen

Robert Paul Weston: Zorgamazoo

Gelesen von Martin Baltscheit. 3 CDs. Hörbuch Hamburg ISBN 978-3-86742-700-5

Zauberwesen, machtvolle Phantasie und das mutige Mädchen Katrina Katrell bezwingen die Bösewichter und retten Zorgel von Zorgamazoo. Eine spannende Geschichte, wortgewandt gereimt (!) von Robert Paul Weston und kongenial übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn. Locker, mit viel Sinn für Dramatik wie für flotte Sprüche wird das erzählt von Martin Baltscheit. Für die Jury: Regina Himmelbauer

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