Bestenlisten

Mit einem Platz auf der Bestenliste werden vierteljährlich die besten und interessantesten Neuveröffentlichungen der vorangegangenen drei Monate ausgezeichnet. Bewertungskriterien sind künstlerische Qualität, Repertoirewert, Präsentation und Klangqualität. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jeder Bestenliste hinterlegt.

Bestenlisten

Orchestermusik und Konzerte

Pärt: Credo

Arvo Pärt: La Sindone, Fratres, Da Pacem Domine, Silhouette, Credo u.a.. Kalle Randalu, Estonian National Male Choir, Ellerhein Girls’ & Alumni Choir, Estonian Festival Orchestra, Paavo Järvi. Alpha Classics 1158 (Naxos)

Ein Album zu Arvo Pärts 90. Geburtstag, das die Spannweite seines Schaffens abbildet. Der Titel »Credo« bezieht sich auf eine Komposition von 1968, aber auch auf das gesamte Œuvre: Dem »Ich glaube« ist die Glaubwürdigkeit der Musik an die Seite zu stellen – von der frühen avantgardistischen Periode über eine Phase mit neoklassizistischen Experimenten bis hin zu all den Werken, mit denen Pärt seit einem halben Jahrhundert ganz unterschiedliche Menschen gleichermaßen berührt. Die Werkauswahl ist so persönlich wie die Freundschaft zur Dirigenten-Familie Järvi, die Einspielung in allem schlichtweg herausragend. Für die Jury: Michael Kube

Orchestermusik und Konzerte

Martin: Concerto pour 7 instruments ...

Frank Martin: Concerto pour 7 instruments à vent, Études, Polyptyque. Bartłomiej Niziol, Württembergisches Kammerorchester Heilbronn, Philippe Bach. Schweizer Fonogramm SF0018 (Note 1)

Die Musik von Frank Martin (1890-1974) ist in den letzten Jahren leider ein wenig vernachlässigt worden. Um so schöner, dass diese exzellent musizierte und produzierte Aufnahme sie wieder in Erinnerung ruft. Das frühe Konzert für sieben Blasinstrumente (1949) und das späte Polyptyque (1973) für Violine zeigen Martins ganze Bandbreite: Rhythmische Verve, spielerische Virtuosität, faszinierende Streicherklang-Schichtungen und -Brechungen sowie eine zwischen erweiterter Tonalität und freier Zwölftönigkeit changierende Harmonik fügen sich zu einem Ganzen zusammen, das vom ersten bis zum letzten Takt mitreißt und überzeugt. Für die Jury: Michael Stegemann

Kammermusik

Echoes of Exile

Werke von Béla Bartók, Paul Ben-Haim, George Enescu, Eugène Ysaÿe, Bernd Alois Zimmermann. Sueye Park. SACD, BIS Records BIS-2332 (Naxos)

Die Geigerin Sueye Park entfaltet mit »Echoes of Exile« ein klingendes Panorama der Entwurzelung. Zwischen Ysaÿes introspektiver »Malinconia«, Bartóks aufgewühltem Widerstand, Ben-Haims jüdischer Melancholie und Zimmermanns existenziellem Riss entsteht ein Bogen von erzwungener Fremde und innerer Flucht. Parks makellose Technik, ihr brillanter Ton und die wunderbare Präzision ihrer Phrasierung machen dieses Album zu einem ergreifenden Zeugnis von Schmerz, Erinnerung und künstlerischer Integrität. Für die Jury: Bernhard Hartmann

Kammermusik

Beyond Horizons

Ethel Smyth, Edvard Grieg, Amanda Maier-Röntgen: Kammermusik für Violine und Klavier. Liv Migdal, Mario Häring. hänssler Classic HC24015 (Profil Medien)

Zwei Entdeckungen und ein Repertoirestück – eine gute Mischung, mehr noch: eine kluge Kombination individueller spätromantischer Handschriften jenseits des Mainstreams und im besten Sinne eine Horizonterweiterung. Liv Migdal und Mario Häring verleihen der frühen Violinsonate von Ethel Smyth ein starkes Formbewusstsein und leuchten die Stücke von Amanda Maier facettenreich und differenziert aus. Das alles auf klanglich höchstem Niveau, verbunden mit Leidenschaft, ja geradezu einem Furor, der süchtig macht nach weiteren Entdeckungen für Violine und Klavier in dieser Qualität. Für die Jury: Andreas Göbel

Tasteninstrumente

Schostakowitsch: Präludien & Fugen

Dmitri Schostakowitsch: 24 Präludien & Fugen op. 87. Yulianna Avdeeva. 2 CDs, Pentatone PTC 5187 480 (Naxos)

Yulianna Avdeeva spielt Schostakowitschs Präludien und Fugen und überzeugt durch ein klug modelliertes, farbenreiches Klavierspiel. Doch ihre Farben funkeln nicht in grellem Licht, sondern leuchten vielschichtig von innen. Daher klingt diese Aufnahme oft lyrisch. Ihre Akkorde und Melodien atmen und singen. Wo unerwartete Harmonien und Übergänge lauern, agiert die Pianistin umsichtig. Gleichzeitig zeigt sie den Spagat zwischen Tradition der Form und Mitteln der Moderne. So wird diese Musik zum Spiegel des Lebens: voller Trauer und Resignation, Schmerz und Trost, Leidenschaft und Trotz. Für die Jury: Christoph Vratz

Tasteninstrumente

Betsy Jolas: Orgelwerke

Angela Metzger, WDR Sinfonieorchester, Titus Engel. NEOS 12531 (harmonia mundi/Bertus)

Diese Welt-Ersteinspielung mit Orgelwerken der 1926 geborenen französischen Komponistin konfrontiert das Ohr durchgehend mit einer eigenwillig faszinierenden Welt lebendiger Klanglichkeit, die sich jeglicher Erwartungshaltung entzieht. Im Mittelpunkt steht das großformatig konzipierte und experimentell gestaltete »Musique d’Hiver« für Orgel und Orchester. Angela Metzger gelingt auch in den übrigen drei Klangstudien zu Morgendämmerung, Zeit und Raum eine beeindruckend differenzierte und feinsinnige Registrierung der Orgel. Für die Jury: Yvonne Petitpierre

Dieses Album gewann sowohl in der Jury Tasteninstrumente II als auch in der Jury Zeitgenössische Musik.

Oper

Henry Purcell: Dido & Aeneas

Joyce DiDonato, Michael Spyres, Fatma Said, Beth Taylor, Hugh Cutting, Laurence Kilsby, Il pomo d’oro, Maxim Emelyanychev. Erato 5021732284884 (Warner)

Mehr als 50 Gesamtaufnahmen von Henry Purcells einziger Oper stehen bereits im Katalog. Die Lamento-Songs der Karthagerkönigin Dido (Akt I und III) wurden schon an die hundertmal einzeln eingesungen; sie gehören zu den populärsten Barock-Hits überhaupt. Entsprechend enorm ist die Vielfalt der Lesarten, sie reicht von pathosstarker Vibrato-Wucht bis zu filigraner Seelenmalerei. Diese Neueinspielung ist preiswürdig, weil hier alle musiktheatralischen Parameter kompromisslos ausgereizt werden. Plastisch agitiert der Dirigent Chor, Ensemble und Solisten. Und DiDonato und Spyres bilden ein unschlagbares Dreamteam. Für die Jury: Eleonore Büning

Oper

Mieczysław Weinberg: Der Idiot

Bogdan Volkov, Ausrine Stundyte, Vladislav Sulimsky u.a., Herren der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker, Mirga Gražinytė-Tyla, Regie: Krystof Warlikowski. Blu-ray/2 DVDs, Unitel Edition 811504/811408 (Naxos)

Nach der »Passagierin« erweist sich nun auch Weinbergs Musikdrama »Der Idiot« neben Bergs »Wozzeck« und »Lulu« sowie Zimmermanns »Soldaten« als Tragödien-Mahnmal. Denn der Dostojewskis Roman entlehnte Fürst Myschkin ist ein »Opernheld« der allumfassenden Güte, des tiefgehenden Verständnisses und schrankenlosen Mitleids sowie grenzenloser Zuwendung. Damit fasziniert Tenor Bogdan Volkov in dem musikdramatisch erstklassigen Salzburger Mitschnitt: als singuläre moralische Herausforderung gegenüber unserer Welt von Gestern, Heute und wohl leider auch Morgen – als Tragödie unserer Inhumanität. Für die Jury: Wolf-Dieter Peter

Chor und Vokalensemble

A Prayer for Deliverance

Werke von Gustav Holst, Herbert Howells, Joanna Marsh, Cecilia McDowall, Francis Pott, Caroline Shaw, Joel Thompson u.a.. Tenebrae, Nigel Short. Signum Classics SIGCD880 (Note 1)

Sie sind nach der größten theologischen Dunkelheit benannt und machen uns doch stets hellste Freude: die handverlesenen Sängerinnen und Sänger des Londoner Kammerchors »Tenebrae«. Ihr Leiter Nigel Short ist Liebhaber eines weit und weich schwingenden Kathedralklangs, doch Unschärfe hasst er. Der Sound des Chores ist – angefangen von den unendlich höhenschönen Sopranen – bis auf die neunte Stelle hinterm Komma definiert. Die neue CD des Ensembles ist ein intensiv tönendes Erlösungsgebet, angefüllt mit tröstenden Formeln und Meisterwerken der britischen Chortradition. Für die Jury: Wolfram Goertz

Klassisches Lied und Vokalrecital

Franz Schubert: Winterreise D 911

Johannes Martin Kränzle, Hilko Dumno. hänssler Classic HC25011 (Profil Medien)

Der (über)reichen Diskografie der »Winterreise« einen relevanten Beitrag anzufügen, ist keine Kleinigkeit. Johannes Martin Kränzle ist ein eminenter Meister sensibel-genauer Wortbehandlung, auf der Opernbühne wie als Liedsänger. Diese Aufnahme erweist die Reife einer langen Beschäftigung mit Schuberts vielschichtiger »Winterreise« in Todeszonen. Das ist kaum ohne das Wissen um Kränzles Ringen mit schwerer Krankheit zu hören. Umso berührender der intensiv subjektive, dabei nie sentimentale Zugang, den der Bariton mit seinem langjährigen Klavierpartner Hilko Dumno findet. Für die Jury: Holger Noltze

Alte Musik

Johann Heinrich Rolle: Symphonien, Cembalokonzerte

Michael Borgstede, Kölner Akademie, Michael Alexander Willens. cpo 555 634-2 (JPC)

Wer an Bach und Mozart gewöhnt ist, dem können Werke im galanten Stil, wie sie J. H. Rolle (1719–1785) schrieb, von äußerlich fast provozierend einfacher Faktur erscheinen. Rolles Präsenz im Musikleben seiner Zeit wird jedoch nachvollziehbar, wenn Spezialisten wie die Kölner Akademie unter Michael Alexander Willens, die sich seit Jahren um das Erschließen von Repertoire zwischen den musikgeschichtlichen Stühlen verdient gemacht haben, diesen Stil endlich zur Chefsache machen. Dann ist Musik voll duftiger Leichtigkeit und feinster Schattierungen zu entdecken, in der Spannung gerade auch aus dem genau beobachteten Detail entsteht. Für die Jury: Carsten Niemann

Historische Aufnahmen

Jascha Horenstein dirigiert...

Dmitri Schostakowitsch: Symphonie Nr. 1, Carl Nielsen: Symphonie Nr. 5. Royal Philharmonic Orchestra, New Philharmonia Orchestra, Jascha Horenstein. ica Classics ICAC5184 (Naxos)

Die immense Dichte von Jascha Horensteins Lesarten, verbunden mit großem, dem Ganzen stets untergeordneten Detailreichtum, kann mühelos neben neuesten Produktionen überzeugen. Die atmosphärische Dichte in Schostakowitschs Erster beeindruckt, ebenso die sorgfältige Ausarbeitung aller Interpretationsparameter. Carl Nielsen war Horenstein 1927 anlässlich der Einstudierung seiner Fünften (die dieser für Furtwängler probte) persönlich begegnet und hatte dessen lebenslanges Engagement für die Symphonien des Dänen geweckt. Der mitreißende, tief berührende Mitschnitt von 1971 darf Referenzcharakter beanspruchen. Für die Jury: Jürgen Schaarwächter

Filmmusik

Jeff Russo: Alien Earth

(Original Soundtrack) Digital, Hollywood Records (Direktvertrieb)

Ein Orchester kann alles vermitteln: Vergangenheit und Zukunft, Tradition und Technik, Geborgenheit und Gefahr. Jeff Russos sehnsüchtiger, orchestraler Soundtrack zur Serie »Alien: Earth« umarmt die Tradition der großen Alien-Scores, und bildet sowohl die Bedrohung aus dem Weltall als auch die Verletzlichkeit und Kindlichkeit der menschlich-kybernetischen Hybriden ab. Seine mal nervösen, mal neugierigen Streicherarrangements und der Einsatz brachialer, fremdartiger Soundscapes vergrößern eindrucksvoll das Klangbild. Das Beste ist: Den mörderischen Außerirdischen zuzuhören birgt garantiert kein Risiko. Für die Jury: Jenni Zylka

Musikfilm

Joana Mallwitz: Momentum

Ein Film von Günter Atteln. Joana Mallwitz, Konzerthausorchester Berlin, Staatsphilharmonie Nürnberg u.a.. DVD, Accentus Music ACC20688 (Naxos)

Joana Mallwitz ist eine Dirigentin der Superlative: Operndirigentin des Jahres, oftmals erste Frau am Pult, jetzt in Berlin tätig. Günter Atteln hatte eine Spürnase, als er schon früh entscheidende Etappen ihrer Karriere über Jahre drehen konnte. So entstand ein starker, situationsnaher Film – zwischen privater Alltagsorganisation, beruflichem Druck und musikalischer Leidenschaft. Mallwitz zeigt sich von ihrer fordernden, analytischen, emotionalen, auch ängstlichen Seite. Entstanden ist das spannende und ungewöhnlich offene Porträt eines hochmusikalischen Ausnahmetalents auf dem Weg zur Weltspitze. Für die Jury: Thorsten Lorenz

Jazz

Karl Ratzer Trio: Vienna Red

CD/2 LPs, IN+OUT Records IOR77160-2/-1 (Edel)

Dass Karl Ratzer mal ein namhafter Rock-Gitarrist in der Wiener Szene der 1960er Jahre war, daran erinnert im Jahr seines 75.Geburtstages wenig. Mehr als vier Jahrzehnte prägte der Jazz seine Musik. Der Trompeter und Vokalist Chet Baker buchte ihn in den 1980er Jahren als Tour-Begleiter – nach zehn Jahren in den USA so etwas wie ein Erweckungserlebnis für Karl Ratzer. Vom Fusion Jazz ging es mitten hinein in den von Bebop und Swing geprägten klassischen Trio-Jazz. Und mit leicht brüchiger Stimme hält der Gitarrist zwischen charmanten Improvisationen sogar die Erinnerung an den für ihn so prägenden Chet Baker wach. Für die Jury: Lothar Jänichen

Jazz

vom Jandln zum Ernst

Christian Muthspiel & Orjazztra Vienna & die Stimme von Ernst Jandl: vom Jandln zum Ernst. 2 CDs, col legno WWE 2CD 20477 (Naxos)

Hier entsteht eine musikalische Wunderkammer – die Stimme eines toten Dichters spricht mit unverminderter Kraft zu uns Lebenden: die Stimme von Ernst Jandl, der wie wenige sonst die Literatur vom Papier in die Laute gesprochener Sprache transformierte und dabei sein bester Interpret war; etwa auch mit der NDR Bigband. Komponist Muthspiel, der noch zu Jandls Lebzeiten mit ihm zusammengearbeitet hat, widmet ihm zum hundertsten Geburtstag ein groß angelegtes Werk, das Originalaufnahmen des Sprachgewaltigen in facettenreich arrangierte Tableaus mit dem erstklassig besetzten Orjazztra Vienna einbezieht. Für die Jury: Bert Noglik

Dieses Album gewann sowohl in der Jury Grenzgänge als auch in der Jury Jazz II.

Weltmusik

Africa Express: Presents ... Bahidorá

2 CDs/2 LPs, WorldCircuit/BMG 4099964167030 (Universal)

Vor 18 Jahren zündete Damon Albarn eine inzwischen weit verbreitete musikalische Idee: Vergesst die Genre-Grenzen, lasst uns zusammen Musik machen! Für dieses sechste Treffen reisten rund 50 Interpreten und Musikerinnen aus Europa, Afrika und den Amerikas ins mexikanische Naturreservat Bahidorá. Eine Woche wurde geprobt, dann folgten ein Konzert und zwei Wochen für die Feinarbeit an den Aufnahmen des Repertoires. Englischer Pop trifft auf Rootsmusik, Rap auf Folktronica, Latin-Schmelz auf afrikanische Rhythmen. Und eine grosse musikalische Familie vermittelt viel Spaß an und mit der Musik – hörbar! Für die Jury: Jodok W. Kobelt

Traditionelle Ethnische Musik

Mara Aranda: Sefarad

... en el corazón de Bulgaria. Bureo BUREO6037 (Galileo)

Mit der Vertreibung 1492 aus Andalusien entstanden zahlreiche neue Musikkulturen der spanischsprachigen Juden bis weit in das Osmanische Reich hinein. Im Zentrum dieses musikalisch herausragenden Konzeptalbums der valencianischen Sängerin Mara Aranda steht die nahezu unbekannte Klangwelt des bulgarischen Sephardentums. Mit sinnlichen Interpretationen des historischen Liedrepertoires gelingt es Aranda, intime Einblicke in die weiblich-sephardische Lebenswelt zu vermitteln. Getragen wird Arandas Stimme dabei von einem exzellenten Begleitensemble, dessen Klänge immer wieder neu überraschen und verzaubern. Für die Jury: Britta Sweers

Liedermacher

Manfred Maurenbrecher: Vielleicht Vielleichter

Reptiphon REP 060 (Broken Silence)

75 Jahre ist Herr Doktor Maurenbrecher jetzt alt und als Schriftsteller, Autor und Moderator wenn schon nicht berühmt, so doch recht erfolgreich. Vor allem aber macht er seit weit über 50 Jahren Lieder, die anregen und berühren – kluge, nachdenkliche, engagierte Lieder, Geschichten aus dem Leben, fantasievoll und auch skurril, wunderbar am Klavier erzählt. In den neuen Zeiten von Populisten, Krise und Krieg, in denen man manchen alten Bekannten in seinem Wandel kaum wiedererkennt, vermittelt er trotzdem die Hoffnung, dass auch der aktuelle Schrecken vorüber geht und das Leben wieder leichter werden kann. Für die Jury: Rainer Katlewski

Folk und Singer/Songwriter

Plønk: Bridge of Glass

Cetra Records CETRA010 (Direktvertrieb)

Christian Mohr Levisen aus Dänemark und sein deutscher Partner Björn Kaidel widmen sich seit 2024 mit »Plønk« ganz dem Duospiel auf der Waldzither – einem beinahe in Vergessenheit geratenen, neunsaitigen Zupfinstrument aus Deutschland. Auf diesem Album ertönen ausschließlich Waldzithern mit ihrem obertonreichen und resonanten Klang. Die Töne schwingen mit – und verzahnen sich ineinander, perlen wie ein warmer Regen und umschmeicheln das Ohr von Hörerin und Hörer. Welch ein Glück, dass diese Virtuosen die Waldzither in ein neues Licht rücken und so einem modernen Publikum zugänglich machen! Für die Jury: Jo Meyer

Pop

Big Thief: Double Infinity

CD/LP/MC, 4AD 0850 (Indigo)

So viel los war bei »Big Thief« noch nie. Percussion, die über sich selbst stolpert, Ambientflächen, so frisch und frei-fließend, als bräche unter der Rinde des einstmals rustikalen Folk-Rocks das schimmernde Fruchtfleisch hervor. Nach dem Ausstieg von Bassist Max Oleartchik zum Trio geschrumpft, hat die Band das sechste Album mit 13 Musikern in einem New Yorker Top-Studio eingespielt. Der Albumtitel ist von Blaise Pascals Konzept der doppelten Unendlichkeit inspiriert: Der Mensch ist ein Nichts im Vergleich zur Unendlichkeit und ein All im Vergleich zum Nichts. Ein Zuhause im Dazwischen ist diese Musik. Für die Jury: Fabian Peltsch

Hard und Heavy

Heaven Shall Burn: Heimat

LP/CD, Century Media 19802901682 (Sony)

Die 1995 gegründete Metalcore-/Death Metal-Band legt traditionell den Finger in gesellschaftliche Wunden. In der zehnten Album-Produktion setzen sich die Thüringer mit dem kontrovers diskutierten Begriff »Heimat« auseinander und würdigen Helden aus diversen Ländern – sei es eine Polin, die Juden vor der Schoa rettete, oder seien es afghanische Ortskräfte, die sich gegen die Taliban stellten. Dazu verteidigt das Quintett mit brachial-melodischem Metal seine Grundwerte und tritt in Zeiten von Hass und Krieg für die Umwelt, Tierrechte und Menschlichkeit ein. Der Lohn: Platz 2 in den Deutschen Albumcharts. Für die Jury: Katrin Riedl

Alternative

Pulp: More

CD/LP/MC, Rough Trade RT0541 (Indigo)

Nicht allzu viele Popstars schaffen es, in Würde zu altern. Aber »Pulp« gehört dazu – Jarvis Cocker sang schon mit 35 Jahren »Help The Aged!« Im Song »Grown Ups« sinniert er nun, dass er nie erwachsen werden wollte; aber um sich weiterzuentwickeln, führe wohl kein Weg daran vorbei. Und weiterentwickelt hat sich Cockers Band aus Sheffield, obwohl manche Songs auf »More« schon vor Jahrzehnten geschrieben wurden. Cocker singt Poetisches über Lust und Verlust, erfüllte und unerfüllte Liebe, über Geschlechter und Gesellschaft. Das ist kein Britpop, das ist zeitlos und zeitgemäß – und das Comeback des Jahres! Für die Jury: Juliane Streich

Club und Dance

Nick Léon: A Tropical Entropy

Digital, TraTraTrax TRALP2 (Indigo)

Seit gut 20 Jahren sind Reggaeton und verwandte Latin-Spielarten fester Bestandteil des globalen Dance-Popmarkts. Nick León ist bekannt als einer der Produzenten von Superstar Rosalía, aber auch für DJ-freundliche Tracks unter eigenem Namen. Auf seinem Debütalbum verwebt er diverse Stränge aktueller Latino-Sounds in eine erstaunlich düstere Momentaufnahme seiner Heimatstadt Miami – zwischen schwitziger Club-Atmosphäre, entschleunigten Ambient-Anteilen und Pop-Glamour. Elektronische Musik mit Migrationshintergrund und zugleich Ausdruck einer Verschiebung kultureller Hegemonien zugunsten des globalen Südens. Für die Jury: Christian Tjaben

Electronic und Experimental

Matmos: Metallic Life Review

CD/LP, Thrill Jockey THRILL-632 (Indigo)

Was klingt wie ein Eisenwarenladen in Ekstase, entpuppt sich als elektroakustisches Meisterstück: Mit chirurgischer Präzision und anarchischem Witz formen Matmos auf Metallic Life Review ein Klanguniversum aus Metallobjekten. Ob rostige Rohre, chirurgische Instrumente oder Glockenspiele – jedes Geräusch wird zum Baustein musikalischer Erzählung. Konzeptuell radikal und überraschend zugänglich – das Elektronik-Duo aus Baltimore beweist erneut, dass Experiment und Hörfreude einander nicht ausschließen. Auch kaltes Blech kann glühen, wenn man nur hinhört. Für die Jury: Isabel Steppeler

Blues

D.K. Harrell: Talkin’ Heavy

CD/LP, Alligator Records AL 5027 (Bertus)

Der Name aus Versalien könnte auf allzu große Fußstapfen hindeuten – der junge US-Amerikaner D.K. Harrell geht zwar den von Blues-Übervater B.B. King geebneten Weg, schreitet dabei aber eigenständig voran. Harrells Gitarre (seine 1976er Gibson ES 355) und ihr Ton, auch die Phrasierung beim Spielen und Singen, sind natürlich eng an das große Vorbild angelehnt; Harrells zweites Album »Talkin’ Heavy« enthält in den zwölf Songs aber auch reichlich eigene Handschrift. Es ist funky, atmet den Soul der 1970er und lebt den Blues, traditionsbewusst und zeitgemäß zugleich. D.K. Harrell hat eben ganz eigene Großbuchstaben. Für die Jury: Tim Schauen

R&B, Soul und Hip-Hop

Brittany Davis, Evan Flory-Barnes, D’Vonne Lewis: Black Thunder

2 LPs, Loose Groove LGR0029 (Membran)

Klavier, Bass, Schlagzeug und eine Stimme, die direkt Seele, Herz und Ohren berührt – »Black Thunder« von Brittany Davis, ursprünglich nur als lose Trio-Improvisation über 48 Stunden in einem Studio in Seattle geplant, entwickelte sich zum großartigen Soul-, Rhythm & Blues- und Jazz-Album. Eine Momentaufnahme mit Attitüde – die blinde Brittany Davis ließ ihren spontanen Gedanken freien Lauf, singt tiefgründig über Schönheit, Rassismus, Geschichte und die Welt, die sie nicht sehen kann. Intensiv und sanft zugleich – selten gelingt dieser Spagat so einzigartig; ein in sich fließendes Meisterwerk. Für die Jury: Michael Rütten

Wortkunst

Thomas-Mann-Box

Thomas Sarbacher, Gerd Wameling, Boris Aljinović, Peter Matić, C. Bernd Sucher, Hans Peter Hallwachs, Jennifer Sabel, Andreas Thiele. 8 mp3-CDs, Argon Edition ISBN 978-3-8398-2207-4 (Argon Verlag)

Überraschend, wie viel Neues so ein Thomas-Mann-Jubiläumsjahr noch zutage fördern kann, von delikaten Tagebucheinträgen bis zu stillen Sehnsüchten … das Neue lässt sich aber auch im Bekannten aufspüren. Dafür steht diese Box. Besonders Thomas Sarbachers »Zauberberg«-Lesung hat es uns angetan, knapp 40 Stunden ungekürzte Kompetenz im Ton, der Dynamik, der Ausdauer. Hier hat jemand seinen eigenen Platz zwischen Castorp und Settembrini gefunden. Auch schön: Die von Hans Peter Hallwachs, dem Autor selbst und anderen gelesene Einführung: »Hört das nie auf?« Man wünschte es sich. Für die Jury: Elena Witzeck

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