Jahrespreise

Einmal jährlich trifft sich der Jahresausschuss des PdSK e.V., um zehn Jahrespreise für die besten Produktionen des zurückliegenden Jahres zu bestimmen. Im Jahresausschuss arbeiten zehn Jurorinnen und Juroren aus verschiedenen Fachjurys zusammen. Die Besetzung des Jahresausschusses rotiert. Die Nominierungen für evtl. Jahrespreise obliegen der Gesamtheit aller Jurorinnen und Juroren. Jahrespreise werden im Rahmen öffentlicher Konzertauftritte oder Literaturlesungen (im Bereich Wortkunst) an die Preisträger verliehen. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jedem Preisträgerjahrgang hinterlegt.

Jahrespreise

Monteverdi: Selva morale / Konrad Junghänel

Claudio Monteverdi: Selva morale e spirituale
Cantus Cölln, Concerto Palatino, Konrad Junghänel
Aufnahmeleitung: Andreas Neubronner, Markus Heiland
harmonia mundi France: HMC 901 718/20 (3 CD)

Claudio Monteverdis »Geistlicher und moralischer Wald«, die einzigartige, 1641 veröffentlichte Sammlung kirchenmusikalischer Vertonungen, liegt mit dieser Edition erstmals in einer Interpretation nach Maßstäben der historisierenden Aufführungspraxis vor. Dem Lautenisten Konrad Junghänel ist gemeinsam mit seinem Vokalensemble Cantus Cölln (Foto) und dem Concerto Palatino eine außergewöhnlich geschlossene, sehr sensible und ausdrucksstarke Gesamtdarstellung des enzyklopädischen Werkes gelungen. Sie besticht durch mustergültiges stilistisches Einfühlungsvermögen. Das klare und sehr prägnante, sorgfältig differenzierte »Bild« ist wie »aus einem Guss« geformt, und dennoch betonen die Interpreten eindringlich die Unterschiedlichkeit der einzelnen musikalischen Formen. Beispielhaft ist ihr Umgang mit Koloraturen und Verzierungen, mustergültig die homogene Einheit von Vokalem und Instrumentalem, von überzeugender solistischer Einzelleistung und makellosem Gesamtklang.

Vivica Genaux – Arias for Farinelli

Arien von Nicola Antonio Porpora, Johann Adolf Hasse, Riccardo Broschi, Geminiano Giacomelli; Baldassare Galuppi: Concerto à 4 c-Moll
Vivica Genaux (Sopran)
Akademie für Alte Musik Berlin, René Jacobs
Produktion: harmonia mundi s.a.
Aufnahmeleitung: Martin Sauer
harmonia mundi France: HMC 901 778 (1 CD)

Die anhaltende Lust an der Barockmusik, vor allem an der Barockoper, hat auch die längst verloren geglaubte Kunst der Kastraten wieder ins Licht gerückt. Eine Vielzahl allzu ähnlicher Sopran- und Altstimmen und diverse Countertenöre haben sich in den letzten Jahren zu regelrechten Stars entwickelt. Und Carlo Broschi alias »Farinelli«, einer der berühmtesten Kastraten überhaupt, hat als Buch- wie Filmheld neuerlich Furore gemacht. Wurde im Film seine Stimme durch den elektronischen Verschnitt eines Soprans mit einem Countertenor nachgeahmt, so hat jetzt eine Mezzosopranistin auf ihrem Debüt-Rezital solche High-tech-Bemühungen in den Schatten gestellt: Begleitet von der bestens aufgelegten Akademie für Alte Musik singt sich Vivica Genaux ohne jede technische Schwierigkeit durch den ariosen Koloratur-Parcours von Porpora, Hasse, Giacomelli und dem Farinelli-Bruder Riccardo Broschi. Ein angenehmes Timbre, mühelose Legati, perfekte Atmung und differenzierte Stimmungscharakteristik machen ihre »Arias for Farinelli« zum exquisiten Qualitätsprodukt.

Reger: Das Klavierwerk / Markus Becker

Max Reger: Das Klavierwerk. Vol. 1–12
Markus Becker, Klavier
Produktion: Thorofon/Bella Musica Edition in Zusammenarbeit mit dem NDR Hannover
Aufnahmeleitung: Bernhard Hanke
Thorofon: CTH 2311/22 (12 CD einzeln und in Box)
Vertrieb: Klassik-Center, Kassel

Die Einspielung von Regers Klavierwerk durch den jungen Hannoveraner Pianisten und Hochschullehrer Markus Becker ist mehr als eine pflichtbewusste Großedition. Sie beleuchtet das Bild eines Komponisten neu, das lange von Vorurteilen übermalt war. Regers klavieristisches Denken, keineswegs nur von der Orgel dominiert, wird hier souverän nachvollzogen – und für den Hörer erfahrbar. Becker bewältigt die zum Teil enormen spieltechnischen Herausforderungen mit Bravour, stellt auch in Stücken, die eher Studiencharakter haben, die musikalischen Inhalte heraus. Die Edition ist klug aufgebaut und setzt mit Folge 12, die Regers zentralen Variationszyklus über ein Thema von Bach enthält (op. 81), einen gewichtigen Schlussstein. Die Tontechniker des NDR sorgen durchweg für ein transparentes Klangbild; die Booklet-Texte gehen über das Standardmaß weit hinaus. So entsteht nicht zuletzt eine Hommage an das Instrument Klavier selbst: an seine Vielseitigkeit und seine Rollen im ausgehenden 19. Jahrhundert.

Cage: Piano Music / Steffen Schleiermacher

John Cage:
Complete Piano Music Vol. 1–10
Steffen Schleiermacher, Josef Christof (in Vol. 5)
Produktion: Werner Dabringhaus und Reimund Grimm
Aufnahmeleitung: Friedrich Wilhelm Rödding
MDG Scene: MDG 613 0781/98-2 (18 CD)
Vertrieb: Naxos

10 Jahre nach seinem Tod ist das Werk von John Cage noch immer Herausforderung. Mit der Veröffentlichung des kompletten Klavierzyklus schließt die Firma Dabringhaus und Grimm eine Lücke und bietet einen Einstieg in die Vielfalt des Komponisten und Philosophen Cage. Von den deutlich Satie-beeinflussten Anfängen über die rhythmisch geprägten Studien am präparierten Klavier bis hin zu Konzeptstücken verweisen die Werke auf einen Komponisten, der das noch nicht Gehörte suchte. Der erklärte Zen-Buddhist, der die Lösung mancher musikalischen Probleme dem I-Ging anvertraute, verband in einzigartiger Weise Disziplin und Freiheit. »Wie kann man den Musikern Freiheiten zugestehen« – fragte Cage in seinen autobiographischen Notizen, »ohne dass sie dumme Lösungen anbieten, sondern so, dass sie feinsinnig mit Würde reagieren?« Steffen Schleiermacher, selbst Komponist, hat sich auf der Suche nach konkreten Lösungen nicht nur auf sich selbst und seine Erfahrungen mit dem Werk des Komponisten verlassen, sondern zudem die umfangreichen Veröffentlichungen Cages studiert und das Gespräch mit Zeitzeugen wie Eberhard Blum und Grete Sultan gesucht, so dass die vorliegende Edition eine der subjektiv möglichen Lösungen im Sinne des Komponisten ist.

Lachenmann: Das Mädchen mit den Schwefelhölzern / Lothar Zagrosek

Helmut Lachenmann: Das Mädchen mit den Schwefelhölzern
Elizabeth Keusch, Sarah Leonard, Salome Kammer, Ensemble der Staatsoper Stuttgart, Lothar Zagrosek
Produktion: Staatsoper Stuttgart in Zusammenarbeit mit Festival d’automne à Paris und BBC Radio 3
Aufnahmeleitung: Andreas Priemer
KAIROS: 0012 282 KAI (2 CD)
Vertrieb: harmonia mundi

Auf unerwartet großes Interesse stieß die Oper »Das Mädchen mit den Schwefelhölzern« von Helmut Lachenmann, der Andersens Märchen vom kleinen Mädchen, das sich am Strohfeuer seiner Schwefelhölzer wärmen will und überm Träumen von Bildern des Glücks erfriert, ins Archetypische führt. In der kurzen, gleichwohl umfangreichen Aufführungsgeschichte konnte man erleben, dass nach der spektakulären Hamburger Uraufführung 1997, bei der noch manche Raum- und Bildgestaltung im Ansatz stecken geblieben war, eine Reihe konzertanter Aufführungen den Focus noch intensiver auf Lachenmanns Werk gerichtet hat. Dabei erweist sich die CD als geradezu ideales Medium für die Botschaften des Komponisten: Frei von visueller Ablenkung kann sie Lachenmanns in Musik gesetzte Gesellschaftskritik und existentielle Einsamkeit in imaginären Bildern eindrucksvoll verlebendigen, zumal auch Lothar Zagrosek seine reichen Erfahrungen mit der Uraufführung gezielt in diese Produktion der Staatsoper Stuttgart einbringen konnte. Die im Raum verteilten musikalischen Quellen wurden in der CD-Fassung geschickt zu einem irisierenden Klangbild verwoben.

Esbjörn Svensson Trio

E.S.T. Esbjörn Svensson Trio:
Strange Place for Snow
Produktion: Superstudio Gul
Aufnahmeleitung: Janne Hansson / Åke Linton
ACT 9011-2
Vertrieb: Edel Contraire, Hamburg

Ist das noch Jazz? Ganz gewiss. Es stimmt aber auch, was »Die Zeit« beobachtet hat: »Das Esbjörn Svensson Trio zeigt, wie Jazz klingt, wenn er Pop ist.« Die drei Schweden – Esbjörn Svensson am Piano, Magnus Öström am Schlagzeug und Dan Berglund am Kontrabass – haben in langjähriger Spielpraxis einen unverwechselbaren, eigenen Stil entwickelt und dem Genre des modernen Piano-Trios neue, spannende Impulse gegeben. Es sind Innovationen abseits atonaler Eruptionen, mit denen die Musiker aufhorchen lassen. Zu klaren, tiefen Melodien gesellen sich Sounds neuerer wie älterer populärer Strömungen: Psychedelischer Rock, Funk, Drum & Bass. Bill Evans trifft auf Pink Floyd, Hipness harmoniert mit konzentrierter Kunstanstrengung. Und weil die drei bei aller virtuosen Lust an der Improvisation einen starken Willen zur Form beweisen, zählt das bisher beste Album des Trios zu jenen Jazzaufnahmen, die auch als Studioproduktion ungeteilte Freude machen.

David Krakauer’s Klezmer Madness

The Twelve Tribes
Produktion: Pierre Walfisz
Aufnahmeleitung: Philippe Teissier du Cros
Label Bleu: LBLC 6637
Vertrieb: Sunny Moon

Ohne die Seele der Klezmer-Musik zu verletzen, gelingt es dem Klarinettisten David Krakauer, diese Folklore in einen Kontext neuer künstlerischer Herausforderungen zu stellen. Die rhythmischen Kräfte der Rock-Musik, das Improvisations-Ingenium des Jazz und die Kollektiv-Erfahrungen seiner freieren Formen, aber auch Krakauers in Grenzgängen zu moderner Kammermusik gewonnenes Formbewusstsein verbinden sich zu einer spannenden, spieltechnisch überschäumenden, zeitgemäßen New Yorker Variante der ostjüdischen Party-Musik.

Gianluigi Trovesi & WDR Big Band

Dedalo
Produktion: Matthias Winckelmann (enja) und Ulrich Kurth (WDR)
Aufnahmeleitung: Christian Cluxen
Schnitt: Ruth Witt
enja ENJ 9419 2
Vertrieb: Soulfood Music Distribution, Hamburg

Der italienische Klarinettist Gianluigi Trovesi auf dem hörenswerten Streifzug durch die reichen Erfahrungen eines neugierigen mitteleuropäischen Musikerlebens: Stimuliert durch seine große Liebe zum Jazz zieht er dessen Artikulation und Experimentierlust in ein Fantasie-Reich unberechenbarer Verstrickungen. Polternder New Orleans-Jazz, abstrakte Bebop-Motive und Vierviertel-Swing verbrüdern sich, schrill und zärtlich, bombastisch und nachdenklich, mit abendländischer Satzkunst und differenzierten Klangfarbenspielen, mit Erinnerungen an die Musik des Mittelalters und die Folklore der italienischen »bandas«. Präzision und Klangschönheit der WDR Big Band bestätigen einmal mehr den Weltrang dieses Spitzenorchesters. Der Trompeter Markus Stockhausen spielt als zweiter Bläsersolist alle Facetten zwischen sakralem Strahl und Slapstick-Humor aus.

The Notwist

Neon Golden
Produktion: Galore
Aufnahmeleitung/Schnitt: Mario Thaler & O.L.A.F. Opal
City Slang: 20 184-2 bzw. 812 124-2
Vertrieb: Virgin/EMI

Nur selten gehen gefällige Töne und experimentelle Klänge eine so harmonische Verbindung ein wie auf dem fünften Album dieser Gruppe aus dem schwäbischen Weilheim (Foto). Man muss die zehn Songs hören, um nachvollziehen zu können, mit welch erstaunlicher Sensibilität und Liebe zum Detail die scheinbar gegensätzlichen Elemente geformt und ziseliert werden, um schließlich doch wie aus einem Guss zu wirken. Alte Röhrenverstärker und Bandmaschinen sorgten bei den Aufnahmen für das besondere Flair der elektronischen Elemente; Gitarrenakkorde, Bläser und Streichinstrumente setzen konventionelle Farbtupfer in der Komposition. Dieses Album klingt auf wunderbare Weise homogen, doch gleichzeitig vielfältig und facettenreich. Mit Bestandteilen aus Rock, Elektronik und Jazz gedeihen die Songs von The Notwist in einem ganz speziellen Minimal-Pop-Biotop an der Schnittstelle zwischen Experiment und traditionellen Songstrukturen.

Filmmusiken in Partitur-Rekonstruktionen von John W. Morgan

Filmmusiken in Partitur-Rekonstruktionen von John W. Morgan

Moscow Symphony Orchestra, William T. Stromberg u. a.
Produktion: Betta International u. a.
Aufnahmeleitung: Edvard Shakhnazarian, Vitaly Ivanov u. a.
Marco Polo: verschiedene Bestellnummern
Vertrieb: Naxos Deutschland, Münster

Das neue Interesse an der Filmmusik hält schon einige Jahre an. Die meisten Plattenfirmen haben erkannt, dass hier breitenwirksames Repertoire jenseits der allzu oft eingespielten Klassiker brachliegt. Viele aber haben ihre Bemühungen längst wieder auf die leichtverderbliche Massenware aktueller Kinohits konzentriert. Nicht so Marco Polo, das Entdecker-Label von Naxos. Hier setzt man seit Jahren auf Archivforschung und Rekonstruktion, um viele klassische Filmmusiken in Suitenform oder integraler Länge wieder hörbar zu machen. Was mit dem CSR Symphony Orchestra unter dem Dirigenten Adriano begann, um Werke so etablierter Komponisten wie Jacques Ibert, Arthur Honegger, William Walton oder Aram Chatschaturjan zugänglich zu machen, konzentriert sich inzwischen auf die Goldene Ära Hollywoods. Ob die experimentellen Klänge Bernard Herrmanns oder rauschhafte Korngold-Melodien, Max Steiners Abenteuertöne oder die Horrormusiken von Paul Dessau und Hans Salter, ob Musik aus Bergman-Filmen oder die faszinierenden Tongemälde des Georges Auric für Meisterwerke des französischen und amerikanischen Films der 40er und 50er Jahre, von Jean Cocteau bis Max Ophüls, von William Wyler bis Otto Preminger – meist legt das Moscow Symphony Orchestra unter William T. Stromberg vorzügliche Einspielungen vor, die von John Morgan bestens produziert und in den CD-Booklets ausführlich kommentiert sind. Eine offene Reihe, als Beispiel setzende Edition, die noch auf manche Überraschung hoffen lässt.

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