Jahrespreise

Einmal jährlich trifft sich der Jahresausschuss des PdSK e.V., um zehn Jahrespreise für die besten Produktionen des zurückliegenden Jahres zu bestimmen. Im Jahresausschuss arbeiten zehn Jurorinnen und Juroren aus verschiedenen Fachjurys zusammen. Die Besetzung des Jahresausschusses rotiert. Die Nominierungen für evtl. Jahrespreise obliegen der Gesamtheit aller Jurorinnen und Juroren. Jahrespreise werden im Rahmen öffentlicher Konzertauftritte oder Literaturlesungen (im Bereich Wortkunst) an die Preisträger verliehen. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jedem Preisträgerjahrgang hinterlegt.

Jahrespreise

Beethoven: Streichquartette / Gewandhaus-Quartett

Ludwig van Beethoven
Die Streichquartette
Gewandhaus-Quartett
Produktion: Klaus Feldmann
Aufnahme: Eberhard Geiger, Maria Suschke
NCA 60139 (10 CD)
Vertrieb: Naxos

Das heutige Gewandhaus-Quartett unter Primarius Frank-Michael Erben spielt seit 1993 zusammen, ist aber bereits die zehnte Besetzung seit der Quartett-Gründung im Jahre 1809. Das von Generation zu Generation weitergereichte Klangideal und die tradierte Erfahrung sorgen einerseits für besondere Intensität im Zusammenspiel, andererseits für die melosbetonte, musikantische Eleganz, die für ein Quartett aus Orchestersolisten typisch ist. Bestechend an dieser Beethoven-Gesamtaufnahme ist aber neben dem »warmen« deutschen Klang der Leipziger vor allem die Klarheit des analytischen Zugriffs.

Cecilia Bartoli: The Salieri Album

Antonio Salieri
The Salieri Album
Cecilia Bartoli, Orchestra of the Age of Enlightenment, Adam Fischer
Produktion: Andrew Cornall
Aufnahme: Arend Prohmann
Decca 457 100-2
Vertrieb: Universal

Zum dritten Mal – nach Alben mit Vivaldi- und Gluck-Arien – nutzt Cecilia Bartoli ihre popstar-ähnliche Publikumsbreitenwirkung dazu, unbekannten Werken von verkannten Komponisten den Weg ins Repertoire zu ebnen. Elf der dreizehn Arien aus Opern Salieris (der insgesamt 39 Opern komponierte) sind hier erstmals aufgenommen worden. Die Nuancierungskunst Bartolis und die Geläufigkeit ihrer Koloratur sind phänomenal. Einmal mehr beweist diese Mezzosopranistin der Sonderklasse, dass sie »in Klängen denken« kann. Gewisse Manierismen der Überartikulation, die ihr zuweilen nachgesagt werden, erscheinen in den dramatisch-exzentrischen Piècen Salieris geradezu ideal.

Bartók / Nikolaus Harnoncourt

Belá Bartók
Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta; Divertimento für Streichorchester
Chamber Orchestra of Europe, Nikolaus Harnoncourt
Produktion: Christian Leins
Aufnahme: Friedemann Engelbrecht
RCA 82876 59326 2
Vertrieb: Helikon Harmonia Mundi

Vor vierzig Jahren hat Nikolaus Harnoncourt mit seinen Bach-Interpretationen eine musikalische Revolution ausgelöst, nun schickt er sich an, auch unser akustisches Bild von der Musik des 20. Jahrhunderts zu revidieren. Seine Interpretationen der beiden Standardwerke Béla Bartóks sind von atemberaubender Ausdruckskraft, mit einer Vielzahl von gestalterischen Schattierungen der Artikulation, Phrasierung und Dynamik. Harnoncourt lässt sich Zeit und erreicht gerade dadurch eine bohrende Intensität. Jede musikalische Phrase ist im Sinne einer Klangrede ausmusiziert, gleichwohl wird nichts über den Kamm einer musikästhetischen Ideologie geschoren. Die solistischen Passagen im Divertimento wirken wie improvisierte Einwürfe, die umso nachdrücklicher zu den Tuttipassagen kontrastieren. Eine veritable Neuinterpretation, bei der sich das Chamber Orchestra of Europe als kongenialer Klangkörper qualifiziert.

Ives / Pierre-Laurent Aimard & Susan Graham

Charles Ives
Klaviersonate Nr. 2, »Concord«; Lieder
Pierre-Laurent Aimard, Susan Graham, Tabea Zimmermann, Emmanuel Pahud
Produktion: Matthew Cosgrove
Aufnahme: Christoph Claßen
Warner 2564 60297-2
Vertrieb: Warner, Hamburg

Die Produktion zum 50. Todestag von Charles Ives erschließt mustergültig Ideen und Werk eines als Pionier und Außenseiter in die Musikgeschichte eingegangenen Komponisten. In einer geglückten Werkzusammenstellung werden Wesensverwandtschaften zwischen ausgewählten Liedern und der Concord-Sonate vorbildlich verdeutlicht. Die Blicke der Sängerin Susan Graham und des Pianisten Pierre-Laurent Aimard richten sich auf die von Ives geschätzten Transzendentalisten von Ralph Waldo Emerson bis Henry David Thoreau, ohne in philosophische Grübelei zu versinken. Präzis, aber stets mit einem Augenzwinkern, wird die sich unbekümmert überakademische Gewohnheiten der Alten Welt hinwegsetzende Experimentierlust eingefangen. Anklänge an Alltägliches, gar Triviales und im besten Sinne Sentimentales werden nicht unterdrückt, sondern ebenso ernsthaft wie unterhaltsam präsentiert.

Luigi Nono / André Richard

Io, frammento da Prometeo; Das atmende Klarsein
Katia Plaschka, Petra Hoffmann, Monika Bair-Ivenz, Roberto Fabbriciani, Ciro Scarponi, Solistenchor Freiburg, Experimentalstudio der Heinrich-Strobel-Stiftung des SWR, André Richard
Produktion: Wulf Weinmann; Armin Köhler, SWR Baden-Baden
Aufnahme: Bernhard Mangold-Märkel
col legno 2SACD 20600 (2 SACD)
Vertrieb: Helikon Harmonia Mundi

Zwei Werke des »späten« Luigi Nono werden von dem um das Freiburger Experimentalstudio gescharten Team von Sängern und Instrumentalisten klangfarblich phänomenal ausgeleuchtet, dynamisch auf das Sorgfältigste differenziert und lebendig vorgetragen. Nonos von pulsierender Live-Elektronik gefärbte und literarisch bis in die griechische Antike zurückgreifende »Klanggedichte« werden – gleich, ob zwei- oder mehrkanalig abgehört – als fast vollkommene Abbilder eines klingenden Kosmos empfunden. Insgesamt ein ebenso bewegendes wie überragendes Memento für den vor achtzig Jahren geborenen Luigi Nono und dessen von der venezianischen Überlieferung beeinflusste Wanderungen durch die Weiten von Klang und Stille.

Johnny Cash

Unearthed
Produktion: Rick Rubin
Aufnahme: Richard Dodd, David Ferguson, Sylvia Massey, D. Sardy, David Schiffman
American Recordings 986 133-5 (5 CD)
Vertrieb: Universal

Bei den Sessions, die Johnny Cash seit 1994 mit dem Hiphop- und Rock-Produzenten Rick Rubin einspielte, entstand weit mehr Material, als auf den insgesamt vier Alben der »American Recordings«-Phase Platz hatte. Posthum erschien daher diese 5-CD-Box, die auf einer CD die Höhepunkte von Cashs Produktionen für besagtes Label zusammenfasst und auf den übrigen vier bisher unveröffentlichte Titel enthält, die den zuvor ausgewählten Aufnahmen um nichts nachstehen. Den Höhepunkt bildet eine ganze CD mit Gospels, die Cash bar jeder Frömmelei zu einem religiösen Erlebnis von beeindruckender Aufrichtigkeit werden lässt. Doch auch die übrigen der insgesamt 63 neuen Tracks bestechen durch die spartanische Instrumentierung, die Cashs durch Alter und Krankheit brüchigen Bariton in stimmungsvolles Licht setzt, und zeigen den großen Mann des Country als versierten Interpreten, der Murder-Ballads, Rockabilly-Songs, Folk-Traditionals, aber auch Rock und Pop mit dem gleichen Respekt behandelt. Ein würdiger Abschluss für die außergewöhnliche Karriere eines außergewöhnlichen Musikers.

Ryan Adams

Love is Hell
Produktion: John Porter, Ryan Adams
Aufnahme: Joe McGrath, Tom Schitck
Lost Highway/UMG Recordings 986 232-5
Vertrieb: Universal

Ein solches Talent bringt sogar die Rockmusik, deren Runderneuerungsantrieb konstitutiv ist, selten hervor: Ryan Adams, dieser Tage dreißig Jahre alt geworden, scheint über ein unerschöpfliches Füllhorn an Ideen aus Geschichte, Gegenwart und vorausgedachter Zukunft der Rockmusik zu verfügen. Seinem eigenen Leben sei er üblicherweise um zwei Alben voraus, hat er einmal zu Protokoll gegeben. Die sechzehn Songs auf »Love is Hell» sind nichts weniger als eine Leistungsschau des Klassischen im Rock, dabei von praller, ansteckender Lebendigkeit. Die meisten der Lieder erzählen von Verlusten, und wie man darüber hinwegkommt. Gerade deshalb lässt sich Adams’ Musik auch als eine Art Heimholung des Rock in sein Mutterland hören: Es war einmal in Amerika. Den Kosmos dieser Platte rundet das zeitgleich veröffentlichte Album «Rock’n’Roll« (LostHighway/UMG Recordings/Universal 986 132-4) mit Einblicken in die dunklere, raue Seite des Musikers ab.

Aki Takase

Plays »Fats« Waller
mit Eugene Chadbourne, Nils Wogram, Rudi Mahall, Thomas Heberer, Paul Lovens
Produktion: Werner Aldinger
Aufnahme: Hrôlfur Vagnsson
enja CD 9152-2
Vertrieb: Helikon Harmonia Mundi

Jazzgeschichte auf die leichte Schulter genommen: Die Pianistin und Komponistin Aki Takase beschäftigt sich schon seit längerem mit diesem Thema. Nach einem dem »Blues-Komponisten« W. C. Handy gewidmeten Projekt »St. Louis Blues« hat sie sich jetzt ein Urgestein der Swingmusik vorgeknöpft: Thomas »Fats« Waller. Rund 400 Kompositionen schrieb der vor 100 Jahren geborene Klavierspieler. Viele davon wurden Evergreens, darunter »Ain’t Misbehavin«. Aus diesem reichen Fundus schöpft das Sextett um Aki Takase. Dabei geht es ihr und ihren Mitstreitern nicht darum, das raffiniert eingängige Material auszuschlachten, sondern es humorvoll auf die Spitze zu treiben. Auch wenn es den Musikern hervorragend gelingt, das Klangbild der 30er Jahre zu zitieren, halten sie sich nicht lange mit der Kopie auf. Auf ebenso ernsthafte wie verschmitzt ironischeWeise nutzen sie die alten Melodien als Inspiration durchaus zeitgemäßer Improvisationen, die nicht verleugnen wollen, dass die meisten der Beteiligten ihre eigene Vergangenheit im Freejazz hatten. Eine spannende Musik – nostalgisch, raffiniert, modern und in jedem Fall wahnwitzig witzig.

Solomon & Socalled

Hiphopkhasene
mit David Krakauer, Michael Alpert, Frank London, Smadj, Zev Feldman
Produktion: Sophie Solomon
Aufnahme: Hartley Weinberg
Piranha CD-PIR 1789
Vertrieb: Indigo

Es ist wie im richtigen Leben: Auf dieser Hochzeit wächst zusammen, was vermeintlich nicht zusammen gehört: Klezmer und Hiphop. Dabei haben beide Stile auch ihre Gemeinsamkeiten – beide sind Ghetto-Kinder. Klezmer stammt aus dem jiddischen Shtetl Osteuropas, Hiphop aus den schwarzen Ghettos der USA. Die virtuose Geigerin Sophie Solomon und der Mixspezialist und Keyboard-Spieler Josh Dolgin alias DJ Socalled wagen die Mischehe zwischen der traditionsbewussten Klezmer-Kultur und der bewusst anarchischen Hiphop-Szene. Die Riten einer original jiddischen Hochzeit liefern die Rahmenhandlung des Projekts. Sophie Solomon sorgt, assistiert von weiteren Klezmer-Größen wie dem Klarinettisten David Krakauer und dem Trompeter Frank London, für die zwischen Melancholie und fröhlicher Hysterie pendelnde Grundstimmung. DJ Socalled überspielt und unterlegt sie mit elektronischen Tricks und Samples. Auf die Spitze getrieben wird diese Mixtur von abwechselnd jiddisch, englisch und hebräisch formulierten Rap-Passagen. Eine Hochzeit, bei der wirklich alle ihren Spaß haben können!

Arno Schmidt

Nachrichten von Büchern und Menschen. Elf originale Radio-Essays
Produktion: Süddeutscher Rundfunk, 1955-1961
cpo 999 986-2 (12 CD)
Vertrieb: jpc

Selten ist so viel über das Radio nachgedacht und gesprochen worden wie im letzten Jahr. Angesichts der kaum messbaren Einschaltquoten der Kulturprogramme fragt man sich jedoch: Was verteidigen die Menschen eigentlich, wenn sie vom Radio sprechen? Einen konservativen Kulturbegriff, der sich selbst in den renommierten Feuilletons um ein Vielfaches erweitert hat in Richtung Entertainment, Gesellschaft und Lebensgefühl?
In den 11 Hörfunkproduktionen aus den Jahren 1955 bis 1961 verließ sich Arno Schmidt auf die dem Medium ganz eigenen Stärken und dessen Präsenz im privaten Bereich des Hörers: Wir erleben uns als ernst zu nehmendes Gegenüber. Arno Schmidt will uns neugierig machen auf Autoren wie James Joyce, Charles Dickens, Karl May, Christoph Martin Wieland und Ludwig Tieck. Der Sprachrevolutionär spielt mit der schlichten Faszination von Stimme und Sprache in seiner ihm eigenen spezifischen Verbindung von traditioneller Erzähltechnik und avantgardistischer Schreibweise. »Es gibt keine Seligkeit ohne Bücher« sagte Arno Schmidt. »Es gibt keine Seligkeit ohne die Radio-Kultur«, möchte man nach dieser Edition hinzufügen.

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