Lebenskünstler
© Gert Mothes

Lebenskünstler

Zum Abschied von unserem langjährigen Schatzmeister Christian Kröber

10.02.2023 – Am 14. Januar ist Christian Kröber in München gestorben. Zu früh aus dem Leben gerissen, muss man wohl sagen; obgleich er und die Seinen schon länger darum wussten, dass er den Kampf gegen die Krankheit eines Tages verlieren würde. Die Beerdigung fand statt am 25. Januar auf dem Obermenziger Friedhof. Tags zuvor war in Sankt Peter, der ältesten katholischen Stadtpfarrei Münchens, eine Requiem-Messe für Christian gelesen worden, an der, neben der Familie, mehr als hundert Menschen teilnahmen, Freunde, Kollegen, Weggefährten, auch aus den Reihen des Preises der deutschen Schallplattenkritik e.V.

Seit 2011 arbeitete Christian als Juror mit im PdSK e.V., erst in der Jury für Lied- und Vokalrecital, dann in der Klaviermusik-Jury. Im gleichen Jahr wurde er zum Schatzmeister des Vereins gewählt – ein Amt, das er bis zum Herbst letzten Jahres mit der ihm eigenen Mischung aus Präzision und Phantasie, juristischem Witz, buchhalterischem Knowhow und streitbarem Vergnügen ausübte. Christian kümmerte sich im Vorstand nicht nur ums Geld und die Einwerbung von Sponsoren. Er brachte die Nachtigall mit zum Fliegen, er wirkte mit an der zweiten Juryreform, er organisierte Preisverleihungen, vertrat den »Preis« in Diskussionen auf Podien, wirkte mit im Jahresausschuss und in Kritikerquartetten. Auch in aussichtloser Lage fiel Christian immer etwas Konstruktives ein. Er hasste Redundanzen. Er liebte es, gordische Knoten zu lösen. Er wusste kurz und knapp Rat, manchmal fast ungeduldig kurz angebunden, wenn die Sache klar war. War sie es nicht, erwies er sich als Meister diskursiven Denkens. So werden ihn all diejenigen Jurorinnen und Juroren, die direkt mit ihm im Vorstand oder in Mitgliederversammlungen zu tun hatten, in Erinnerung behalten. Der PdSK verdankt ihm viel: finanzielle Sicherheit, kulturpolitisches Standing, Kontinuität, Aufbruch. Wir trauern um ihn, mit seiner Frau Dodo und seinen Kindern Katja und Julius.

Für mich persönlich war Christian, jenseits der Vorstandsarbeit, ein Freund. Kennengelernt hatten wir uns irgendwann in den frühen Neunzigern bei den Luzerner Festwochen. Wir stellten rasch fest, dass wir Seelenverwandte waren, ausgestattet mit ähnlichen Ohren. Ungezählt die Konzerte und Recitals, die wir gemeinsam gehört haben. Über mehr als zehn Jahre hinweg saßen wir als Juroren im Kissinger Klavierwettbewerb, zusammen mit Tom Ahnert und Wolfgang Schreiber, wobei wir das Glück hatten, junge Preisträger zu finden, aus denen später wirklich etwas wurde: Herbert Schuch, Anna Vinnitskaja, Martin Helmchen, Igor Levit, Kirill Gerstein, Claire Huangci, Kit Armstrong u.v.a.m. Wir verabredeten uns, um zu besonderen Uraufführungen zu reisen. Oder zu besonderen Opernevents. Zuletzt saßen wir im Oktober nebeneinander im Berliner Thielemann-»Ring«.

Jahrgang 1957, studierte Christian Kröber Jurisprudenz und Musikwissenschaft an der Universität München. Er promovierte mit einer Arbeit »Zur Bedeutung der urheberrechtlichen Vergütungspflicht von kultischer Kirchenmusik in Deutschland« und arbeitete als Direktor einer Lizenzenabteilung bei der GEMA bis 2007. Seither war er als freier Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Urheberrecht und Bühnenrecht tätig. Neben diversen Lehraufträgen, etwa am Richard-Strauss-Konservatorium in München und am Kanonistischen Institut der Universität Potsdam unterstützte und beriet er Musikfestivals und musikalische Nachwuchsprojekte. Bis zuletzt gehörte er dem Kuratorium des Münchner Festivals »Stars & Rising Stars« an. Und: Er schrieb Musikkritiken. Gelegentlich. Zuerst für den Bonner Generalanzeiger, dann für Oper und Tanz, das Opernglas, die Neue Musik Zeitung u.a.m. Denn die Musik war und blieb, neben der Familie, Christians zweitgrößte Leidenschaft. Er spielte Klavier und erlag, ungewöhnlich genug, bereits im Kindesalter der Faszination Oper. Sein Vater, erzählte er, habe ihn anfangs hingebracht in die Bayerische Staatsoper, und wieder abgeholt. So hat er, schon als Siebenjähriger, auf dem Stehplatz Repertoirekenntnisse gesammelt und sein Ohr für Stimmen geschult. Davon schwärmte er gern, nach dem dritten Glas Wein: von der Zerbinetta seiner Jugend, Erika Köth, aber auch von Ingeborg Hallstein, Fritz Wunderlich, Hans Hotter, Brigitte Fassbaender. Was ihn nicht hinderte, auch heutige junge Stimmen wertzuschätzen.

Christian gehörte nicht zu den Zeitgenossen, die sich grämen, weil angeblich früher alles besser war. Ihm wurde nie langweilig, weil seine Interessen so vielfältig waren, wie seine Neugierde unendlich. Zugleich hochgebildet, war er ein wahrer Polyhistor und im schönsten Sinne des Begriffs: Bildungsbürger. Sein Faible für die zeitgenössische Kunst und Musik brachte ihm Freundschaften ein mit Künstlern wie Manfred Trojahn und Wolfgang Rihm. Er liebte gutes Essen, gute alte Weine, gute neue Romane und die tägliche Zeitungslektüre. In Bardolino, seiner familiären Zuflucht in Italien, hatte er sich einen eignen kleinen Weinberg zugelegt. Ein Lebenskünstler. Offenherzig. Dabei alles andere als konfliktscheu oder meinungsschwach. Ein Mensch mit eignem Kopf. Was Christian nicht wollte, das hat er nicht gemacht. So etwas ist eine Seltenheit geworden in unseren social-media-abhängigen Zeiten. (Für den PdSK: Eleonore Büning)

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    Christian Kröber beim Quartett der Kritiker in Leipzig 2018. Es ging in dieser Podiumsdiskussion beim Bachfest um Aufnahmen der »Goldbergvariationen«.
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    Christian Kröber beim Quartett der Kritiker, Opernfestspiele Heidenheim 2019, mit Wolfgang Schreiber, Eleonore Büning und Kai Luehrs-Kaiser
    © Stephan Knies
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    Christian Kröber überreicht die Jahrespreise 2018 im Münchner Literaturhaus an Peter Simonischek und Michael König.
    © Philipp Kimmelzwinger
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    Christian Kröber im Jahresausschuss 2021, zusammen mit Matthias Wegner, Jörn Florian Fuchs, Markus Thiel und Isabel Steppeler
    © Holger Kirsch
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    Christian Kröber mit dem Vorstand 2016: Eleonore Büning, Manfred Gillig-Degrave und Sabine Fallenstein
    © Torsten Fuchs
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    Christian Kröber beim Quartett der Kritiker in Leipzig 2018. Es ging in dieser Podiumsdiskussion beim Bachfest um Aufnahmen der »Goldbergvariationen«.
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