Bestenlisten

Mit einem Platz auf der Bestenliste werden vierteljährlich die besten und interessantesten Neuveröffentlichungen der vorangegangenen drei Monate ausgezeichnet. Bewertungskriterien sind künstlerische Qualität, Repertoirewert, Präsentation und Klangqualität. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jeder Bestenliste hinterlegt.

NEU: Longlist 2/2024, veröffentlicht am 5. April 2024

Bestenlisten

Orchestermusik und Konzerte

Tschaikowsky – Andris Nelsons

Peter Tschaikowsky: Symphonie Nr. 4, f-moll op.36; »Francesca di Rimini« – Fantasie op.32. City of Birmingham Symphony Orchestra, Andris Nelsons. Orfeo C 860111 A

Jede einzelne dieser Einspielungen ist eine Bereicherung des Katalogs: Andris Nelsons hat seinen Tschaikowsky-Zyklus mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra auf hohem Niveau fortgesetzt, Auch in der vierten Symphonie und der Orchester-Fantasie »Francesca da Rimini« wird er seinem Ruf als großartiger Espressivo-Dirigent gerecht, Klangfarben-Kontraste, dynamische Eruptionen und brillante Orchesterkultur ergeben eine vorzügliche Melange. Und das CBO hat seit den Zeiten Simon Rattles nicht mehr so aufwühlend und präzise musiziert. Für die Jury: Peter Stieber

Orchestermusik und Konzerte

Christian Tetzlaff – Schumann, Mendelssohn

Robert Schumann: Violinkonzert d-Moll WoO 1; Fantasie für Violine und Orchester op.131. Felix Mendelssohn Bartholdy: Violinkonzert d-Moll op.64. Christian Tetzlaff, HR-Sinfonieorchester Frankfurt, Paavo Järvi. Ondine ODE 1195-2 (Naxos)

Der Geiger Christian Tetzlaff brennt für die kontrovers diskutierten Werke, die Robert Schumann für Violine und Orchester schrieb. Es ist, als wolle er sie mit seinem kompromisslosem Ausdruckswillen ein für allemal rehabilitieren. Aber auch im vielgespielten, vielstrapazierten Mendelssohnschen Violinkonzert herrscht bei Tetzlaff Hochspannung, und Paavo Järvi und das RSO Frankfurt sind hellwache Mitgestalter. Für die Jury: Norbert Hornig

Kammermusik

Ludwig van Beethoven: Streichtrios op.9

Trio Zimmermann (Frank Peter Zimmermann, Antoine Tamestit, Christian Poltéra). BIS SACD 1857 (Klassik Center)

Beethovens frühe Streichtrios brechen mit dem Mozartschen Divertimento-Modell, und zwar in Richtung hohen Ernstes. Auch sind nunmehr alle drei Musiker gleichrangig beschäftigt. Da trifft es sich gut, dass die drei, die sich zu dieser Aufnahme zusammengefunden haben, auf gleich hohem Niveau musizieren – und sie beleben ihre ausgefeilteste Kammermusikdarstellung auch noch mit spontanem Impuls. Für die Jury: Thomas Rübenacker

Tasteninstrumente

Frédéric Chopin: Etüden

Frédéric Chopin: Etüden op.10; Etüden op.25. Maurizio Pollini. Testament SBT 1473 (Note 1)

Mit seinen »frühen« Chopin-Interpretationen ließ Pollini, direkt im Anschluss an seinen Triumph im Warschauer Chopin-Wettbewerb, die Werke in einem hellen, klareren, seinerzeit als »modern« empfundenen Licht erleben. Die nun nachgereichte Gesamteinspielung der 24 Etüden op. 10 und op. 25 von 1960 zeichnet sich durch kühle, fast schon hochgezüchtet wirkende Brillanz aus, die ihre dennoch menschliche Wirkung aus dem Umstand bezieht, dass der Interpret seine Technik als einen unverzichtbaren Aspekt künstlerischer Mentalität mit ins Rennen wirft. Und von »Rennen« darf durchaus im positiven Sinn die Rede sein! Selbst atemraubende Zeitmaße in den virtuos erdachten Stücken hindern Pollini nicht, Gelöstheit und Freude am Komplizierten, Respekt vor den ihm anvertrauten Etüden-Modulen zu zeigen. Die klangliche Qualität der Stereo-Einspielung bürgt für einen natürlichen, im Sinne des Ausführenden leuchtenden, durchsichtigen Klavierton, im Linearen wie im Akkordischen. Mit dieser Veröffentlichung bewegt sich Pollini in Konkurrenz zu seiner etwas späteren DG-Gesamtaufnahme. Es ist erlaubt, beide zu den wichtigsten Leistungen der Chopin-Interpretation des 20. Jahrhunderts zählen. Für die Jury: Peter Cossé

Tasteninstrumente

Johann Sebastian Bach: Goldbergvariationen BWV 988

Blandine Rannou. Zig-Zag-Territoires ZZT 111001 (Note 1)

Bereits die Einspielungen, die Blandine Rannou von den Französischen und Englischen Suiten sowie den Toccaten vorlegte, hatten Fachwelt und Publikum aufhorchen lassen. Mit den Goldberg-Variationen erreicht die erfahrene, französische Cembalistin, die mehr als zehn Jahre dem Ensemble Il Seminario Musicale angehörte und als Professorin in Paris und Versailles lehrt, eine neue Dimension der Bach-Interpretation. Auf dem in allen Farben schimmernden Instrument von Anthony Sidey gelingt ihr eine sinnliche, fast improvisatorische Annäherung an das Werk, dessen Aufnahmegeschichte schon so viele große Tastenkünstler versammelt. Lässt man sich ein auf Rannous kreative, gleichwohl stilistisch fundierte Fantasie, sind neue Bach-Erfahrungen garantiert, etwa in den Momenten exzessiver Tempo-Wahl, die sie immer wieder wagt – weit weg allerdings von Glenn Goulds Jahrhundert-Aufnahme, und auch deshalb: ein Gewinn. Für die Jury: Sabine Fallenstein

Oper

Antonio Vivaldi: Farnace. RV 711 G

Ann Hallenberg, Max Emanuel Cencic, Daniel Behle u.a. Coro della Radiotelevisione Svizzera, I Barocchisti, Diego Fasolis. 3 CDs, Virgin Classics 50999 0709142-1 (EMI)

Dass Vivaldi kein Musikdramatiker sei, das wurde lange Zeit immer wieder behauptet – bis endlich die Renaissance seiner Opern in Gang kam. Glücklicherweise liegt die Oper »Farnace«, eines seiner besten Werke, jetzt sogar in einer begeisternden Alternativfassung vor. Max Emanuel Cencic, in der Titelrolle als König von Pontus so theatralisch wie kein anderer Countertenor, führt eine starke Besetzung an. Und Diego Fasolis hat nicht nur an der rekonstruierten Ferrara-Variante von 1738 mitgewirkt, er dirigiert sein Ensemble I Barocchisti auch mit Verve und Spaß. Für die Jury: Manuel Brug

Oper

Franz Schreker: Irrelohe

Ingeborg Greiner, Daniela Denschlag, Roman Sadnik u. a., Chor des Theaters Bonn, Beethovenorchester Bonn, Stefan Blunier. 3 SACDs, Dabringhaus & Grimm MDG 937 1687-6 (Codaex)

Das Opernhaus in Bonn hat das zwischen 1919 und 1922 entstandene Stück »Irrelohe« ausgegraben: eine psychoanalytische Kolportage mit rauschhaften Klängen an der Schwelle von Fin-de-siécle und Neuer Musik. Bonns GMD Stefan Blunier bringt Schrekers Musik mit dem Orchester der Beethovenhalle eindrucksvoll zum Glühen und Blühen, und die Sänger des Bonner Ensembles beweisen einmal mehr, wie leistungsfähig Deutschlands Stadttheater sein können. Für die Jury: Robert Braunmüller

Chor und Vokalensemble

Johann Christian Bach: Missa da Requiem

& Miserere B-Dur. Lenneke Ruiten, Ruth Sandhoff, Colin Balzer, Thomas E. Bauer, RIAS Kammerchor, Akademie für Alte Musik Berlin, Hans-Christoph Rademann. harmonia mundi HMC 902098

Auch Genies fallen nicht einfach vom Musikhimmel, nicht einmal die größten. Wie traditionsbewusst zum Beispiel Mozart komponiert hat, das zeigt sich sehr schön an der Musik seines Freundes und Vorbildes, des jüngsten Bach-Sohns Johann Christian Bach, der in seiner frühen Kirchenmusik, in dem Requiem ebenso wie im Miserere, vielerlei Einflüsse aufgreift. Das reicht von Palestrina und der barocken Polyphonie bis zum Sturm und Drang. Dem RIAS-Kammerchor und der Akademie für Alte Musik Berlin glückte unter Leitung von Hans-Christoph Rademann eine farbenreiche, höchst lebendige Darstellung dieser zukunftsweisenden Musik. Für die Jury: Christian Wildhagen

Klassisches Lied und Vokalrecital

Franz Liszt: Lieder

Diana Damrau, Helmut Deutsch. Virgin Classics 50999 0709282 4 (EMI)

Liszts Lieder verneigen sich nicht demütig vor dem Text. Sie reissen ihn vehement an sich, zergliedern ihn, bemalen ihn mit Klang wie ein Action-Painter seine Objekte. Deshalb verlangen diese Lieder nach Interpreten, die nicht nur virtuos sind, sondern auch klar und schnell im Kopf. Wie Diana Damrau: Diese Sängerin findet eine denkbar reichhaltige Palette an Farben, für die Loreley ebenso wie für den König in Thule, für Fischerknaben und Wasserrosen, für die stille und die vergiftete Liebe. Und ihr Klavierpartner Helmut Deutsch hält wacker mit. Für die Jury: Stephan Mösch

Alte Musik

Johannes Ciconia: Opera Omnia / Sämtliche Werke

Ensemble Diabolus in Musica, Antoine Guerber, Ensemble La Morra, Corina Martí, Michal Gondko. 2 CDs, Ricercar RIC 316 (Note 1)

Die Musik, die der Flame Johannes Ciconia um 1400 in Norditalien komponierte, öffnet für uns ein Fenster in eine fremde Welt. Die Ensembles La Morra und Diabolus in Musica singen und spielen diese intrikaten Madrigale, Motetten und Mess-Sätze mit einem Engagement, das selbst hartnäckige Skeptiker überzeugen kann. Eine interpretatorisch und editorisch mustergültige Aufnahme! Für die Jury: Uwe Schweikert

Zeitgenössische Musik

Haltbar gemacht

Kompositionsklasse des Ensembles L’ART POUR L’ART. Ensemble L’ART POUR L’ART. CD & DVD, Berslton 111 05 31/211 05 31 (Nurnichtnur Kunst- und Musikproduktion)

Acht Kinder im Alter zwischen zehn und vierzehn Jahren komponieren. Sie verwandeln ihren Alltag in Musik. Etliche Ergebnisse dieses Musikprojekts aus Winsen, musiziert vom Ensemble L’ART POUR L’ART, lassen sich staunenswerterweise sogar auf eine Stufe stellen mit professionellem Komponieren. Da ist Kreativität pur zu erleben, und das so eng verknüpft mit der Wirklichkeit, dass Kenner und Liebhaber ihre Freude daran haben. Für die Jury: Ludolf Baucke

Historische Aufnahmen

Otto Klemperer. RIAS-Recordings, Berlin 1950-1958

Werke von Mozart, Beethoven, Mahler und Hindemith. RIAS-Symphonie-Orchester, RSO Berlin, Otto Klemperer. 5 CDs, Audite 21.408 (edel)

Die frühen Westberliner Aufnahmen Otto Klemperers mit dem von Ferenc Fricsay geformten RIAS-Symphonie-Orchester zeigen den großen Dirigenten bald nach seiner Rückkehr aus dem USA-Exil – in einer Phase, die seinem in London aufgezeichneten »monumentalen« Spätstil vorausgeht. Klemperer musiziert Mozart und Beethoven, Mahler und Hindemith mit zwingendem Formbewusstsein und doch spannungsgeladenem Zugriff, fernab jeder selbstdarstellerischen Pultvirtuosität. Für die Jury: Wolfgang Schreiber

Grenzgänge

Frère Jacques. Round about Offenbach

Gianluigi Trovesi, Gianni Coscia. ECM 2217/278 1135 (Universal)

Woran Opernbühnen regelmäßig scheitern, das gelingt dem Duo Gianluigi Trovesi/Gianni Coscia spielend: Sie holen Geist und Witz der Offenbachschen Operette ins Heute und siedeln ihn irgendwo zwischen Kaffeehaus, Dorfplatz und Jazzkeller an: fein kammermusikalisch, hinreißend ironisch und mitunter auch mit einem wohldosierten Schuss Sentimentalität. Für die Jury: Wolfgang Behrens

Filmmusik

Alberto Iglesias: Tinker Tailor Soldier Spy

Silva Screen 738572136925 (edel)

Ein spanischer Filmmusiker komponiert die Musik für einen britischen Geheimdienst-Thriller nach John Le Carré, der daherkommt wie ein Theaterstück von Harold Pinter. Wenn sich das Kino im Kopf mit den wohligen Jazzphrasen aus rauchigen Hinterzimmern arrangiert hat, findet es sich plötzlich in den Holzbläsern von Debussy wieder. Und immer, wenn Streicher und Schlagwerk nach Spannung rufen, führen die Bläser oder der Flügel ins atonale Dickicht eines verwunschenen Gartens. Man darf sich bei Iglesias nie in Sicherheit wiegen – eine Musik für George Smiley könnte nicht besser sein! Für die Jury: Jörg Gerle

Musikfilm

pina

(tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren). Ein Film für Pina Bausch von Wim Wenders. Mit Regina Advento, Mailou Airando u. a. Musik: Thom Hanreich. DVD & Blu-ray, Dolby Digital 5.1. Neue Road Movies NFP 1000227991 (Warner)

Es war wohl vorhersehbar, dass Tanz und 3D gut zusammengehen. Aber in diesem Film von Wim Wenders kommen uns die Tänzerinnen und Tänzer noch sehr viel näher, als es in einer gelungenen Tanztheateraufführung möglich wäre. Wenders spiegelt Pina Bauschs komplexe Choreographien in den stummen Gesichtern, in Mimik und Gestik, und lässt so ihre Tiefe erahnen. Für die Jury: Manfred Bartmann

Musikfilm

Die singende Stadt

Calixto Bieitos Parsifal entsteht. Ein Dokumentarfilm von Vadim Jendreyko. good movies/ Realfiction 958898 (Indigo)

Vadim Jendreyko berichtet in »Die singende Stadt« von dem making of der umstrittenen Stuttgarter »Parsifal«-Inszenierung von Calixto Bieito. Spannend ist dieser Dokumentarfilm, weil er sich nicht die Perspektive des Opernregisseurs zu eigen macht. Er zeigt vielmehr den gesamten, sehr lebendigen Organismus eines großen Opernbetriebs mit Sängern, Musikern, Bühnenarbeitern, Werkstätten in einer Weise, wie man dies vorher im Film noch nicht gesehen hat. Nicht nur für Opernfreunde ist »Die singende Stadt« deshalb ein Muss, auch für die vielen Kulturpolitiker des Landes, die noch nie einen Blick hinter die Kulissen geworfen haben. Für die Jury: Bernhard Hartmann

Jazz

Sing! Inge, sing!

Inge Brandenburg. Silver Spot 1036002SSR (edel)

Einst galt Inge Brandenburg als beste Jazzsängerin Deutschlands, ja Europas. Doch die Plattenfirmen nötigten sie zu kommerziellen Produktionen, nur wenige Aufnahmen sind entstanden, die ihrem Können auch wirklich gerecht werden. Das Album »Sing! Inge, Sing!«, Nebenprodukt des gleichnamigen Dokumentarfilms, wurde zusammengestellt aus Rundfunkaufnahmen, dabei singt Inge Brandenburg in Gesellschaft kongenialer Kollegen wie Goykovich und den Mangelsdorffs. Endlich gibt es nun ein würdiges Denkmal für die bewegende Ausdruckskraft dieser dunklen, warmen Stimme, mit ihrem einmaligen Gespür für timing und blue notes. Für die Jury: Marcus A. Woelfle

Jazz

Sonny Rollins: Road Shows Vol. 2

Mit Ornette Coleman, Roy Hargrove u. a. Doxy Records 0602527749723 (Universal)

Hier wächst zusammen, was zusammen gehört: Anlässlich seines 80. Geburtstags hat sich der ‚elder statesman’ des Tenorsaxophons, Hard-Bop-Pionier Sonny Rollins, mit dem Free-Jazz-Vorkämpfer Ornette Coleman verbündet. Eine Sternstunde des modernen Jazz! Noch vor ein paar Jahren wäre diese stilistische Verbrüderung undenkbar gewesen. Was sich die beiden alten Herren nun im New Yorker Beacon Theatre an melodischen Erfindungen zuspielen, das strotzt nur so vor Intensität, Weisheit und Witz. Für die Jury: Peter Kemper

Traditionelle Ethnische Musik

KlangWelten

25 Jahre Dialog der Kulturen, Bd. 2: 2006–2011. Rüdiger Oppermann mit 28 Musikgruppen und Solisten aus 24 Ländern. 5 CDs & DVD, KlangWeltenRecords KW 20050

Wiederum, wie bereits beim ersten Band dieser Edition, hat Rüdiger Oppermann ein opulentes Klangpanorama zusammengestellt, das dem Dialog der Kulturen gewidmet ist. Dafür wurden Konzerte von Musikerinnen und Musiker unter anderem aus Gambia, Madagaskar, der Mongolei, Uganda, Polynesien, Indien, Indonesien und der Türkei live aufgezeichnet. Sieben Stunden Dauer hat dieses musikalische Kaleidoskop, es bringt vom Klagelied bis hin zum bis Springtanz vielfältige Formen traditionellen Musizierens zum Klingen. Informativ der farbenprächtige Bildband dazu, ein Gewinn auch die ergänzende DVD mit Mitschnitten von den KlangWelten-Festivals 2007-2010. Für die Jury: Max Peter Baumann

Liedermacher

Christof Stählin und Freunde

Aus freien Stücken. Nomen + Omen XON 16

Der Liedermacher und Schriftsteller Christof Stählin ist ein präziser Beobachter. Alltagssituationen voller Kümmernisse, Freuden oder Hoffnungen bringt er durch seine virtuose Sprachbeherrschung in eine poetische Form. Auch seine Fähigkeit, jedes Mal wieder kongeniale Begleitmusiker zu finden, kommt dem famosen neuen Album zugute. Für die Jury: Gabriele Haefs

Folk und Singer/Songwriter

Texas Bohemia revisited

Von Thomas Meinecke und Peter Schubert. CD & DVD, Trikont US-0384

Diese Anthologie aus dem Hause Trikont ist unterwegs auf den Spuren deutscher und böhmischer Einwanderer in Texas. Ein gutes halbes Dutzend Bands stellen unter Beweis, wie Polka und Walzer im Wilden Westen heimisch geworden sind, mit wunderbar rumpelndem Blech und mit Sängern, die tatsächlich einem Tom Waits noch ein paar Tipps geben könnten. Absolut sehenswert: die mitgelieferte DVD mit dem Dokumentarfilm Krasna Amerika. Für die Jury: Imke Turner

Pop

The Black Keys: El Camino

Nonesuch 00755 97963311 (Warner)

Selbstbewusst, frech, ja, ein bisschen dreist – mit »El Camino« ist das Duo aus Ohio in der Mitte der Popmusik angekommen. The Black Keys bedienen sich mit einer so pfiffigen Leichtigkeit im Stil-Archiv der vergangenen Jahrzehnte, dass das große Erbe zu einer ganz eigenen Mixtur verquirlt wird. Led Zeppelin trifft The Clash trifft Zeitgeist: Das ist Retro-Pop mit Perspektive. Für die Jury: Ralf Dombrowski

Independent (bis 2014)

Feist: Metals

Polydor 06025 27798349 (Universal)

Mit ihrem vierten Album schürft die kanadische Singer/Songwriterin nach seltenen Bodenschätzen. An der Oberfläche bleiben diese Songs zwar der Folk-Idylle verbunden – mit pastoralem Ambiente, Mitsingpassagen, elegischem Klavier oder Akustikgitarre. Doch Feist verpasst ihnen vertrackte, vielschichtige Strukturen. Schräge Bläserarrangements, Pizzicato-Streicher, Synthesizer-Grundierungen, Orgel, Euphonium und Männerchöre tragen zum gesteigerten Hörgenuss bei. Trotz dieser Komplexität wirkt das Programm leicht, entspannt, homogen: ein Meisterwerk. Für die Jury: Manfred Gillig-Degrave

Nu & Extreme (bis 2014)

Peaking Lights: 936

Weird World WEIRD009CD (Domino/Rough Trade)

Dieses Album spielt mit hypnotischen Minimalbeats und Halleffekten: eine sphärische Musik voller Verve, darin Dub, Psychedelic und Krautrock aufeinander treffen; ein verschrobener Sound, der sich durchweg im Hintergrund abzuspielen scheint und wie durch einen Andromeda-Nebel zu uns dringt. Aaron Coyes ist ein Tüftler, der allerlei Elektrogeräte zerlegt und entstaubt. Die Entrückung seiner seltsam verwaschenen Musik wirkt noch stärker durch die spröde Art der vocals und das ungewöhnliche Stimmtimbre seiner Partnerin Indra Dunis. Für die Jury: Götz Adler

Blues

Tommy Schneller: Smiling For A Reason

CD & LP, Cable Car Records CCR 0311-37

Der Osnabrücker Saxophonist Tommy Schneller begeistert mit brassbetonten Arrangements und tanzbaren Grooves ebenso wie mit seinem unverkennbaren Gesang. Enorme Spielfreude ist da zu erleben, auch ein gelegentliches Augenzwinkern, wenn Schneller die zum größten Teil von Henrik Freischlader geschriebenen Blues-, Soul- und Funk-Songs interpretiert, wobei freilich auch Balladen nicht zu kurz kommen. Für die Jury: Dirk Föhrs

R&B, Soul und Hip-Hop

The Roots: Undun

Def Jam B005VR9328 (Universal)

Die Band The Roots muss im 25. Jahr ihres Bestehens ihre Ausnahmestellung im Hip Hop nicht mehr beweisen. Diese Musiker sind die geniale Live-Band in einem von Samples dominierten Genre. Als kongeniale Widergänger, ja, als Lebensretter erwachsener Soulmusik à la Marvin Gaye behaupten sie sich in Zeiten einer scheinbar alles erfassenden Juvenalisierung. Sie sind die Stimme des Genius afro-amerikanischer Kultur mit Festanstellung in Jimmy Fallons Late Night Talkshow. Mit »Undun« beleben die Musiker um Drummer Ahmir »Questlove« Thompson mit Erfolg das Konzept des Albums. Textlich und musikalisch sind die vierzehn Stücke miteinander verbunden. Sie weisen genretypische Stilelemente auf, spielen aber auch gekonnt mit für den Hip Hop untypischen Sounds und Sensibilitäten. Der künstlerische Atem der Gruppe reicht bis zu einer mehrteiligen Suite mit Elementen aus Free Jazz und Kammermusik. Für die Jury: Christian Tjaben

Wortkunst

Albert Ostermaier: Schwarze Sonne scheine

Gelesen von Albert Ostermaier. Regie: Wolfgang Stockmann, Musik: Hans Platzgumer. 5 CDs, Griot Hörbuch Verlag, ISBN 978-3-941234-32-1

Albert Ostermeier greift in seinem neuen Roman das brisante Thema »katholische Kirche« auf eine unerwartet persönliche Art auf: Er schildert mit Krimi-Spannung die autobiographisch begründete Beziehung zu einem scheinbar weltoffenen, aber undurchsichtigen, leicht dämonischen Priester, der ihn in eine existenzielle Krise hineinmanövriert. Ostermeiers Sprache, vom Autor selbst mit wunderbar fränkischer Färbung vorgetragen, schafft mit ihren orgiastisch wuchernden Wortschöpfungen einen eigenen phantastischen Vorstellungsraum. Für die Jury: Michael Struck-Schloen

Kinder- und Jugendaufnahmen

Himmelweit. Ein Konzert für Kinder

Von Ute Kleeberg. Mit Christian Brückner und dem SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg, André de Ridder. Edition Seeigel SGO 30, ISBN 978-3-935261-24-1

Christian Brückner erzählt dem jungen Publikum von Florin, der fliegen kann. Bei diesem Album mit dem schönen Namen »Himmelweit« handelt es sich um den Mitschnitt eines Kinderkonzertes, bei dem die von Ute Kleeberg erdachte Geschichte illuminiert wurde mit Musik aus dem »Feuervogel« von Strawinsky sowie aus Hans Werner Henzes »Fünf Botschaften für die Königin von Saba«. Dank des SWR Sinfonieorchesters Baden Baden und Freiburg: ein mitreißendes Klangerlebnis. Für die Jury: Ingeborg Neumann

Open