Bestenlisten

Mit einem Platz auf der Bestenliste werden vierteljährlich die besten und interessantesten Neuveröffentlichungen der vorangegangenen drei Monate ausgezeichnet. Bewertungskriterien sind künstlerische Qualität, Repertoirewert, Präsentation und Klangqualität. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jeder Bestenliste hinterlegt.

NEU: Longlist 2/2024, veröffentlicht am 5. April 2024

Bestenlisten

Orchestermusik und Konzerte

Hans Werner Henze: Symphonien Nr. 1 & 6

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Marek Janowski. Wergo WER 67242 (NAI)

Obgleich Hans Werner Henze die »magische« Neunzahl mit seinem symphonischen Oeuvre übererfüllte, markiert diese Werkgruppe nicht unbedingt das Zentrum seines mehr noch dem Theater verbundenen Schaffens. Nach einem eher spielerischen Umgang mit der auratischen Gattung kam er erst in mittleren Jahren zu existentielleren Annäherungen. Diese Entwicklung spiegelt sich in vorliegender Aufnahme, Teil einer nach und nach edierten Gesamteinspielung mit Marek Janowski, die den leichten symphonischen Erstling mit der gedankenreichen, inhaltsbeladenen Sechsten Henzes konfrontiert. Der umweglos klare, impetuös sachliche Interpretationsstil Janowskis verleiht beiden Werkprofilen volle Authentizität. Für die Jury: Hans-Klaus Jungheinrich

Orchestermusik und Konzerte

Béla Bartók: Violinkonzerte Nr. 1 & 2

Isabelle Faust, Schwedisches Radio-Sinfonieorchester, Daniel Harding. harmonia mundi HMC 902146

Mit einer technisch hochklassigen, idiomatisch traumhaft sicher passenden Wiedergabe der beiden Violinkonzerte von Béla Bartók demonstriert Isabelle Faust, dass diese Werke keine ungarische Domäne mehr sind, sondern längst zur Weltliteratur der Musik gehören. Daniel Harding führt das Schwedische Radio-Sinfonieorchester zu einer virtuosen und auch emotional packenden Leistung. Für die Jury: Hartmut Lück

Kammermusik

Keller Quartett – Ligeti, Barber

György Ligeti: Streichquartette Nr. 1 & 2; Samuel Barber: Molto Adagio aus dem Streichquartett op. 11. Keller Quartett. ECM New Series 2197/4810026 (Universal)

Eine geniale Idee, Samuel Barbers Adagio als Kommentar zwischen Ligetis zwei Streichquartette zu setzen! Die sensible Interpretation durch das Keller Quartett macht deutlich, dass es eben keinen Bruch zwischen der Nr. 1 und der Nr. 2 gibt. Da flimmern und glänzen die Klangflächen in durchsichtigen Farben, stehen die Bewegungen still, um sofort wieder loszurasen oder sich wie selbstverständlich im Nichts zu verlieren. Sorgfältig arbeitet das Keller Quartett die unvermutet heftigen Kontraste heraus, lässt die Pausen sprechen. Doch auch den hintergründigen Witz dieser Musik kann das Ensemble fabelhaft ausbalanciert offenlegen. Für die Jury: Ingeborg Allihn

Tasteninstrumente

Frédéric Chopin: Polonaisen

op. 26 1 & 2, op. 40 1 & 2, op. 44, 53, 61. Rafał Blechacz. Deutsche Grammophon DG 479 0928 (Universal)

Rafał Blechacz hält nichts von langem Verweilen, er ist zügig unterwegs, drängt stets nach vorn. Trotzdem kennt er die winzigen Rastplätze, wo er Atem schöpfen kann. Diesen Höreindruck vermittelt die neue Einspielung sämtlicher mit Opuszahl versehener Polonaisen von Frédéric Chopin. Ob die Bassoktaven im Mittelteil von op. 53 oder die überraschenden Wendungen in op. 40: Blechacz holt nicht primär das Salonhafte von Chopins Musik heraus, er zeigt die Ecken und Kanten dieser Werke, ihre stets gefährdete Eleganz und die Dichte der Ereignisse. Eine Aufnahme voller Schwung und innerem Feuer, voller Schattierungen und Klangfarbspiele, Geschmeidigkeit und Geschmack. Für die Jury: Christoph Vratz

Tasteninstrumente

Alkmaar. The Organs of the Laurenskerk

Mit Pieter van Dijk, Frank van Wijk, Leo van Doeselaar, Bernard Winsemius. 1 DVD & 1 CD, Fugue State Films FSF 008 (Naxos)

Eine rundum gelungene Produktion: Sie liefert ein facetten- und detailreiches Porträt der niederländischen Orgellandschaft rund um die große Orgel der Laurenskerk in Alkmaar, die als eines der bekanntesten barocken Instrumente gilt. Eine faszinierende Dokumentation, sie macht Lust auf mehr. Für die Jury: Guido Krawinkel

Oper

Giacomo Puccini: La Fanciulla del West

Eine Aufzeichnung aus dem Königlichen Opernhaus Stockholm, 2012. Regie: Christof Loy. Nina Stemme, John Lundgren, Aleksandrs Antonenko, Niklas Björling Rygert, Ola Eliasson, Michael Schmidberger, The Royal Swedish Opera Orchestra & Chorus, Pier Giorgio Morandi. DVD Unitel/EuroArts 2072 598 (Naxos)

Die große Pferde-Oper gibt es nur als Video-Vorspiel. Regisseur Christof Loy hat Puccinis Western »La Fanciulla del West« in einen minimalistischen Kasten verlegt. Drinnen agiert mit Nina Stemme die beste dramatische Sopranistin der Gegenwart; der mühelose Tenor Aleksandrs Antonenko und der flexibel singende Bariton John Lundgren sind ihr hervorragende Partner: Eine ideale Aufführung dieser unterschätzten Puccini-Oper. Für die Jury: Robert Braunmüller

Chor und Vokalensemble

Johann Sebastian Bach: Sämtliche Kantaten Vol. 54

Kantaten BWV 100, BWV 14, BWV 197 und BWV 197a. Hana Blaziková, Damien Guillon, Gerd Türk, Peter Kooij, Bach Collegium Japan, Masaaki Suzuki. BIS Records 2021 (Klassik Center)

Folge 54 der Gesamteinspielung von Bachs Kantaten mit Masaaki Suzuki und seinem Bach Collegium Japan bringt die Vorzüge der Serie bestens zur Geltung: mit eloquentem Instrumentalspiel und exzellenten, stilistisch hochversierten Solisten, mit transparentem und leuchtkräftig-beweglichem Chorklang. Jenseits philologisch begründeter Schrumpfübungen mit strikt solistischer Chorbesetzung, aber souverän in der hohen Kunst historisch informierten Musizierens gelingt Suzuki eine organische Balance, welche die intrikaten Partituren bis in die Feinheiten durchleuchtet, ohne Bachs Musik die gestische Plastizität zu nehmen. Für die Jury: Martin Mezger

Klassisches Lied und Vokalrecital

Anna Netrebko – Verdi

Giuseppe Verdi: Arien aus Macbeth, Giovanna d’Arco, I vespri siciliani, Don Carlo, Il Trovatore. Anna Netrebko, Rolando Villazón, Chor & Orchester des Teatro Regio Torino, Gainandrea Noseda. Deutsche Grammophon DG 479 1052 7 (Universal)

Mit ihrer Salzburger »Traviata«-Lesart avancierte Anna Netrebko 2005 zum Popstar der Opernszene. Ein lyrischer Sopran, dem die Welt zu Füßen lag. Aber kann sie auch die »grandioso«-Gesten der Lady Macbeth? Die dunklen Verzweiflungsfarben der Leonora? Den sehrenden Weltabschiedston der Elisabetta? Acht Jahre später gibt Netrebkos Verdi-Recital die Antwort: Sie kann. Und wie. Die Stimme hat an Substanz noch gewonnen, klingt voller, dunkler. Fürwahr: eine Ausnahmesängerin! Für die Jury: Albrecht Thiemann

Alte Musik

The Phoenix Rising

Werke von William Byrd, Orlando Gibbons, Thomas Morley, Thomas Tallis, John Taverner, Robert White. stile antico. harmonia mundi HMU 807572

Zwischen 1922 und 1929 brachte der Carnegie UK Trust eine zehnbändige Edition von Kirchenmusik der Tudor-Zeit heraus. In seiner Auswahl herausragender Werke der Sammlung setzt das Ensemble stile antico der epochalen Denkmalausgabe selbst ein grandioses Denkmal: mit engelsreiner Intonation, beseelten und klaren Linien sowie einer Haltung, in der meditative Andacht und bewusste Wortausdeutung auf faszinierende Weise zusammenfinden. Für die Jury: Carsten Niemann

Zeitgenössische Musik

Oscar Bianchi: Anahata Concerto

& Crepuscolo, Primordia Rerum, Zaffiro, Matra-Kantate, Thanks to my eyes. Klangforum Wien, Nieuw Ensemble, Ictus Ensemble, Ensemble Modern, Neue Vocalsolisten Stuttgart, Enno Poppe, Lucas Vis, Anna Petrini, Franck Ollu u.a. Musiques Suisses CTS-M 138 (NAI)

Oscar Bianchi gehört zu den interessantesten und kernigsten Figuren in der jüngeren Schweizer Komponistengeneration. Auf diesem Porträt-Album sind die verschiedenen Facetten seines bisherigen Oeuvres zu entdecken: von Solostücken bis hin zu einer Szene aus der Oper »Thanks to my eyes« und dem »Anahata Concerto«, das durch das Klangforum Wien unter Enno Poppe eine exemplarische Interpretation erfährt. Für die Jury: Thomas Meyer

Historische Aufnahmen

Gary Graffman – The Complete Album Collection

Gary Graffman, Berl Senofsky, Shirley Trepel, New York Philharmonic Orchestra, San Francisco Symphony, Boston Symphony Orchestra, Philadelphia Orchestra, Cleveland Orchestra, George Szell, Eugene Ormandy, Leonard Bernstein, Enrique Jorda, Charles Munch. 24 CDs, RCA 3509522 (Sony)

Das Oeuvre des Pianisten Gary Graffman muss man im Ganzen betrachten. Ersteindrücke oder Querhören mögen nur das Bild eines Supertechnikers vermitteln. Mit zunehmender Beschäftigung bemerkt man den Musiker mit besonderem Profil. Graffmans Wirken fiel in die Ära, in der Objektivität groß geschrieben wurde und sich der endgültige Übergang von Mono- zu Stereo-Aufnahmen vollzog. Er hat sich nie zum Gesamtaufnahmen-Spieler hergeben wollen, er konnte weitgehend Werke seines persönlichen Interesses aufnehmen. Das Ergebnis sind immer wieder Interpretationen mit ungewohnten Sichtweisen. Für die Jury: Wolfgang Wendel

Grenzgänge

Gabriele Hasler: im bauch der vokale

Foolish Music 211 113 www.gabrielehasler.de

Ihr Körper wird Gesang, wird zum Musikinstrument. Daher der Titel dieses neuen Albums von Gabriele Hasler. Was sie hier vorlegt, ist eine Art Kompendium moderner Gesangskunst, bis hin zum flötenähnlichen Säuseln des Obertongesangs. Buchstaben, Silben, Worte werden in ihrem Munde zu Klang, dessen sinnlicher Wirkung man sich kaum entziehen kann. Für die Jury: Heinz Zietsch

Musikfilm

The Note. Rudolf Barshai, a lifelong quest for one single note

Ein Film von Oleg Dorman. DVD EuroArts 2059 528 (Naxos)

Wenige Wochen vor Rudolf Barshais Tod besuchte Oleg Dorman den russischen Dirigenten und Musiker auf dessen Alterssitz in der Schweiz. Mit seiner Kamera dokumentierte er eindrucksvoll die monologisierende Rückschau des 86-jährigen Greises auf seine Karriere in der Sowjetunion: auf frühe Erfolge und politische Bedrängnisse, auf Vorbilder, Musikerkollegen (darunter Schostakowitsch) und insbesondere auf jene unlesbare Note »des«, mit deren geglückter Entzifferung Barshai seine langwierige, höchst ehrgeizige Orchestrierung der unvollendet hinterlassenen »Zehnten« von Gustav Mahler im Schweizer Exil zum Abschluss gebracht hatte. Für die Jury: Lothar Prox

Musikfilm

Sound of Heimat. Deutschland singt!

Ein Film von Arne Birkenstock und Jan Tengeler. Hayden Chisholm, Rudi Vodel, Wellküren, Bobo u.a. DVD Tradewind Pictures / RealFiction 979248 (Indigo)

Ein Jazzsaxophonist vom anderen Ende der Welt reist durch deutsche Lande, um der hiesigen Volksmusik auf die Spur zu kommen. Für den Zuschauer ebenso ein Trip voller Entdeckungen wie für den Neuseeländer Hayden Chisholm. Der begegnet Hip-Hoppern, Chören, musizierenden Familien, landet in Kneipen, einem Antistadl, einem Jodelkurs – nur nicht im »Musikantenstadl«. Er redet mit den Menschen, er singt und spielt mit. Eine unbefangene Annäherung an eine »roots music«, mit der wir Deutschen uns noch immer schwer tun. Und ein kurzweiliger Film. Für die Jury: Berthold Klostermann

Jazz

Bigbands live

Orchester Kurt Edelhagen feat. Mary Lou Williams u. C. Valente (Juli – Dezember 1954) Kurt Edelhagen, M. L. Williams, Caterina Valente u.a. Jazzhaus (swr-music) 101718 (Arthaus Musik)

Es gab 1954 nicht nur das »Wunder von Bern«, sondern auch das »Wunder von Baden-Baden«. Verantwortlicher Trainer war SWF-Redakteur Joachim-Ernst Berendt, und ein ehrgeiziger Spielführer namens Kurt Edelhagen hatte ein brillantes Team zusammengestellt, das den jazzhungrigen Deutschen 69 grandiose Minuten auf dem Spielfeld bot – von »Tuxedo Junction« über »You Go To My Head« bis zu »Lester Leaps In«. Auf der Ersatzbank: Mary Lou Williams und Caterina »Ganz Paris träumt von der Liebe«-Valente, die das Spiel gegen Ende noch einmal gehörig auf Tempo bringen. Noch heute stellt sich beim Hören von Valentes Stimme Bedauern darüber ein, dass Deutschland sie als Jazzsängerin nicht gewollt hat. Für die Jury: Rainer Nolden

Jazz

Michael Wollny, Tamar Halperin, hr-Bigband: Wunderkammer XXL

2 CDs, ACT 6011 (edel)

Dieses Doppelalbum kombiniert das Original-Studiowerk von Michael Wollny und Tamar Halperin mit einer Version der hr-Bigband, aufgenommen am 27. Oktober 2012 beim 43. Deutschen Jazzfestival Frankfurt. Dabei hauchte der Bigband-Klangkörper den mechanistischen, bisweilen spieluhrartigen Kompositionen Wollnys neues Leben ein: Hypnotischer Minimalismus weht durch die Arrangements von Jörg Achim Keller, die repetitiven und sich stets leicht verändernden Tonfolgen kulminieren in triumphalem Ensemblespiel. Für die Jury: Peter Kemper

Weltmusik

Vinicio Capossela: Rebetico Gymnastas

Ponderosa 1000114 PON (Edel)

Der in Hannover geborene italienische Cantautore Vinicio Capossela interpretiert auf »Rebetiko Gymnastas« nicht nur seine eigenen Lieder neu mit hervorragenden griechischen Musikern, etwa dem Bouzuki-Spieler Manolis Pappos, er präsentiert auch Stücke von Atahualpa Yupanqui oder Vladimir Vyssotskij, die hier einen geradezu pan-mediterranen Charakter bekommen. Wenn Capossela mithilfe von Gitarrist Marc Ribot noch Tom Waits ins Spiel bringt, ist er gleichzeitig ganz bei sich. Für die Jury: Peter Schulze

Traditionelle Ethnische Musik

Kayhan Kalhor & Erdal Erzincan

Kula Kulluk Yakışır Mı. ECM 2181/ 2790946 (Universal)

Zwei Kulturen, die persische und die türkische; zwei Instrumente, lautenähnlich tönend oder mit dem Bogen gestrichen; und zwei tiefgründige Künstler, die das Wesen orientalischer Melodik erkunden, innovativ und auf der Grundlage uralter Improvisationstechniken: Das sind zwei ineinander verschlungene Linien und ein Weg. Hier wird musikalische Mystik von einzigartiger Klarheit transportiert. Für die Jury: Jan Reichow

Liedermacher

Barth/Roemer: Groove Chanson

Hey!Blau Records CD0014. Eigenvertrieb: www.gesangundgitarre.de

Die ausdrucksstarke Stimme von Astrid Barth – mal zurückgenommen-intensiv, dann wieder losgelöst-explosiv –, dazu die präzise akzentuierten Folk-Jazz-Harmonien, die Gitarrist Philipp Roemer beisteuert: Das ergibt zusammen einen swingenden Chanson-Groove allererster Güte. Astrid Barths intelligente Songtexte in deutscher Sprache tun ein Übriges, diese CD aus dem Einerlei emporzuheben. Für die Jury: Kai Engelke

Folk und Singer/Songwriter

Alma: Nativa

Col Legno COL 20310 (harmonia mundi)

In der Gruppe Alma verwirklichen vier junge Damen und ein Herr ihre Vorstellungen, wie die österreichische Volksmusik-Tradition an die Jetztzeit und die Menschen, die in ihr leben, anzupassen wäre. Mit Violinen, Bass, Akkordeon und (meist Jodel-)Gesang sowie mit großer Leichtigkeit, Leidenschaft und Fantasie lassen sie aus den Wurzeln vielfältige Triebe und Blüten wachsen: Kreativität ist Trumpf. Für die Jury: Mike Kamp

Independent (bis 2014)

Moderat: Il

Monkeytown MTR035CDJ (Rough Trade 0817231011381)

Das zweite Album dieser Elektro-Supergroup – das Projekt Moderat vereint Musiker der beiden führenden deutschen Digital-Bands Apparat und Modeselektor – steht für den Ausgleich zwischen technoiden Beats und melancholischen Melodien. Es kombiniert Grooves mit Wucht und Schärfe sowie weiträumige, ästhetische Loops zu einem urbanen Sound-Cluster des Jahres 2013. Ein raffinierter Grenzgang zwischen analogem »Life« und digitalem »Style«. Für die Jury: Christof Hammer

Nu & Extreme (bis 2014)

Jan Roth: L. O. W.

Sinnbus SR048CD (Rough Trade)

Das instrumentale Debütalbum des Erfurter Musikers Jan Roth verbindet Postrock mit Neo-Klassik und etwas Elektronik. Neben den zahlreichen perkussiven Details, bei denen Roth mit unterschiedlichen Sounds experimentiert (im Sinne eines präparierten Pianos, aber mit Drumkit), trägt auch das Klavier bei zu einem dynamischen Kopfkino mit leisen, sanften wie lauteren Momenten, geraderen Beatstrukturen, Auf- und Abwallen sowie mit kleinen gewollten Holprigkeiten. Eine Liebeserklärung an die Sonnenseite der Melancholie. Für die Jury: Götz Adler

Blues

Cyril Neville: Magic Honey

Ruf Records RUF 1192 (in-akustik)

Ganz in der Tradition des kulturellen Schmelztiegels New Orleans serviert Cyril Neville mit »Magic Honey« einen musikalischen Gumbo, jenen für das Mississippi-Delta so tyischen Stil-Eintopf, dessen Zutaten aus Blues, Rock, einem Schuss Funk und einer Prise Reggae bestehen. All das bestens zubereitet dank einer dynamisch groovenden Begleitmannschaft, zu der in einigen Tracks auch namhafte Gäste wie Allen Toussaint oder Dr. John stoßen. Ein ebenso reifes wie frisch klingendes Alterswerk, das die Klasse des mittlerweile Fünfundsechzigjährigen nachhaltig unterstreicht. Für die Jury: Michael Seiz

R&B, Soul und Hip-Hop

Gregory Porter: Liquid Spirit

Blue Note 6 02537 41053 8 (Universal)

»Liquid Spirit« ist ein Meilenstein in der Karriere von Gregory Porter, Sänger und Komponist, der eigentlich Footballer werden wollte. Das Stipendium in der Tasche, zwang ihn eine Verletzung aber zum vorzeitigen Ende der Sportler-Laufbahn. Gut für alle Musikfans! Porter schafft es, die gesamte Bandbreite der Black Music abzubilden. Sein neues, drittes Album, das erste auf dem Blue-Note-Label, besticht mit einer penibel ausbalancierten Mischung aus Gospel, Jazz und vor allem Rhythm & Blues. Der packende Groove ist allgegenwärtig. Für die Jury: Jörg Wachsmuth

Wortkunst

Herta Müller: Immer derselbe Schnee und immer derselbe Onkel

Herta Müller. 4 CDs, HörbuchHamburg ISBN 978-3-89903-395-3

Man muss Herta Müller als Rezitatorin ihrer eignen Texte erlebt haben. Ihre Stimme vermittelt zugleich Nähe und Distanz zu den einfachen, klangvollen, wohlgesetzten Worten, mit denen sie von ihrem früheren Leben erzählt, in einem Rumänien unter staatlicher Kontrolle. Wunderbar das rollende R, die fragenden Satzschlüsse, der leicht schleppende Rhythmus und die scheue, trotz ihrer Reife fast mädchenhafte Stimme, wenn sie etwa vom Lagerleben ihres Freundes Oskar Pastior erzählt oder die Erkenntnis des Großvaters angesichts von Hitler, Stalin, Ceausescu wiedergibt: »Wenn die Fahnen flattern, rutscht der Verstand in die Trompete.« Herta Müller hat ihren wachen Verstand über allen Erlebnissen bewahrt – das beweist diese Edition mit Reden und Texten der letzten Jahre, darunter die Ansprachen zur Nobelpreisverleihung 2009. Für die Jury: Michael Struck-Schloen

Kinder- und Jugendaufnahmen

Reineke Fuchs

Hörstück nach Texten von Johann Wolfgang von Goethe und Ilse van Heyst. Ulrich Noethen, Theo Bleckmann, WDR Big Band Köln. Hörbuch im Verlag CMO ISBN 978-3-939129-58-5 (Alive)

Dieser Mitschnitt eines Familienkonzertes mit der WDR Big Band und Kompositionen sowie Arrangements von Ansgar Striepens ist hinreißend geraten. Ulrich Noethen als Erzähler und Theo Bleckmann als Reineke Fuchs stellen die höchst aktuelle Geschichte amüsant und plausibel dar. Ein aufregendes Hörvergnügen für Jung und Alt. Für die Jury: Ingeborg Neumann

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