Bestenlisten

Mit einem Platz auf der Bestenliste werden vierteljährlich die besten und interessantesten Neuveröffentlichungen der vorangegangenen drei Monate ausgezeichnet. Bewertungskriterien sind künstlerische Qualität, Repertoirewert, Präsentation und Klangqualität. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jeder Bestenliste hinterlegt.

Bestenlisten

Orchestermusik und Konzerte

Hans Werner Henze: 2. Sinfonie & Sinfonia N. 10

Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Marek Janowski. Wergo WER 672527 (New Arts International)

Mit diesen aktuellen Neuaufnahmen der schlicht-eigensinnigen zweiten und der höchst vielschichtigen zehnten Symphonie Hans Werner Henzes ist diese verdienstvolle Werkschau des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin unter seinem Leiter Marek Janowski nunmehr abgeschlossen: Eingespielt wurden seit 2008 auf fünf CDs in loser Folge sämtliche zehn Symphonien Henzes in einer engagierten Darstellung. Der Erfolg des Projekts verdankt sich der Beharrlichkeit des Dirigenten, aber auch der Edition WERGO und deren mäzenatischen Mithelfern: ein würdiges Erinnerungsdenkmal für den vor zwei Jahren verstorbenen Komponisten. Für die Jury: Hanspeter Krellmann

Orchestermusik und Konzerte

Mozart: Klavierkonzerte / Martha Argerich

Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzerte KV 466 & KV 503. Martha Argerich, Orchestra Mozart, Claudio Abbado. Deutsche Grammophon 479 1033 (Universal)

Martha Argerich interpretiert diese Meisterwerke mit Leichtigkeit und Eleganz des Anschlags, mit einem trockenen Stakkato und wie beiläufig aufblühenden Passagen. Das Orchestra Mozart unter Claudio Abbado agiert mit natürlicher Balance, aber auch mit jenem Hauch von Melancholie einer menschlich-tragischen Dimension, wie sie für Mozarts Spätwerk kennzeichnend ist. Eine Sternstunde der Mozart-Interpretation – und eine denkwürdige Einspielung. Sie entstand live in Luzern, wenige Monate vor Abbados Tod, nach dem sich das von ihm begründete Orchestra Mozart auflösen will. Für die Jury: Hartmut Lück

Kammermusik

Beethoven: Cellosonaten / Steven Isserlis

Ludwig van Beethoven: Sämtliche Cellosonaten; Variationen op. 66; WoO 45; WoO 46; Hornsonaten op.17 (arr.). Steven Isserlis, Robert Levin. Hyperion CDA 67981/2 (New Arts International)

Beethoven bezeichnete seine Cellosonaten ausdrücklich als »Sonaten für Klavier und Violoncello«. Damit meinte er nicht, das Cello solle, wie in der Barockmusik üblich, lediglich begleiten; er verwies damit auf eine absolute Gleichrangigkeit beider Instrumente. Dies wurde freilich, da die Tradition das Klavier immer noch als Begleitinstrument favorisiert, selten stimmig verwirklicht, womöglich noch nie so konsequent wie hier von Robert Levin und Steven Isserlis. Der manchmal ruppige Klang des Violoncellos mischt sich auf ganz besondere Art mit dem des historischen Hammerklaviers – Levin spielt auf der gelungenen Kopie eines Instruments aus der Beethovenzeit. Und mangelnde Eitelkeit tut ein Übriges: zwei Weltklasse-Solisten in demokratischem Dialog. Für die Jury: Thomas Rübenacker

Tasteninstrumente

Carl Philipp Emanuel Bach: Sämtliche Werke für Klavier solo

Ana-Marija Markovina. 26 CDs, Hänssler 98.003 (Naxos)

Eines der schönsten Geschenke, die Carl Philipp Emanuel Bach in diesem Jahr zum dreihundertsten Geburtstag gemacht werden konnten, ist diese Gesamtaufnahme seiner Werke für Solo-Klavier. Dem Wesen des Komponisten und seiner Musik entsprechend, also temperamentvoll, im besten Sinne launisch und immer für Überraschungen gut, präsentiert die Kölner Pianistin Ana-Marija Markovina einen breit gefächerten Kosmos von Stimmungen und Empfindungen. Sie setzt dabei auf einen sehr eigenen, betont persönlichen Zugriff, der bestens passt zu der radikal subjektiven Ausdruckswelt des zweitältesten Bach-Sohnes, den dessen jüngere Kollegen zwar hoch verehrt haben, den die Musikwelt heute aber erst für sich wieder entdecken muss. Diese Edition ist da eine echte Steilvorlage. Für die Jury: Kalle Burmester

Tasteninstrumente

Jehan Titelouze: The Complete Organ Works

Hymn and Magnificat Settings. Robert Bates. 3 CDs, Loft Recordings LRCD-1120/21/22 (Naxos)

Jehan Titelouze lebte von 1562 bis 1633, er war Organist an der Kathedrale von Rouen und gilt als der Vater der französischen Orgelmusik. Bislang ließ eine Gesamteinspielung seines überlieferten Werkes auf sich warten. Diese Lücke hat nun der Amerikaner Robert Bates auf der 1630 gebauten und meisterlich restaurierten Orgel von Saint-Michel im normannischen Bolbec bravourös geschlossen. Das Instrument bietet ideale Voraussetzungen für Titelouzes großartige Kunst des Kontrapunkts, und Bates schöpft alle diese Möglichkeiten stilkundig und fantasievoll aus. Ein prächtiger Orgelklang voll Strenge, Poesie und Tiefe, durch die perfekte Aufnahmetechnik eingefangen in allen Dimensionen des Kirchenraums. Für die Jury: Sabine Fallenstein

Oper

Wolfgang Amadeus Mozart: Le Nozze di Figaro

MusicAeterna, Teodor Currentzis, Andrei Bondarenko, Simone Kermes, Fanie Antonelou, Christian van Horn. 3 CDs, Sony Classical 8888370962 3

Abseits der großen Trampelpfade, nämlich am Opernhaus des im Uralvorland gelegenen Perm, bewirkt der exilgriechische Dirigent Teodor Currentzis seit Jahren ein kleines Wunder. Aus Freunden und Gefolgsmusikern hat er in kürzester Zeit ein hochmotiviertes, verschworenes Ensemble gebildet – und sich einer Karriere im Westen dabei weitgehend verweigert. Der Auftakt seines Da-Ponte-Zyklus mit Mozarts »Figaro« besticht durch ungeahnte Detailarbeit, teils unbekannte Namen und den Gestus eines stürmischen Neuaufbruchs. Man bestaunt Frische, revolutionäre Kraft und Herbheit einer Deutung, die voll neuer Aspekte steckt. Wer hätte das bei diesem oft, vielleicht sogar zu oft aufgenommenen Werk erwartet?! Für die Jury: Kai Luehrs-Kaiser

Oper

George Benjamin: Written on Skin

Ein Film von Margaret Williams. Mit u.a. Bejun Mehta, Barbara Hannigan, Christopher Purves, Orchestra of the Royal Opera House, George Benjamin, Katie Mitchell. DVD & Blu-ray Opus Arte OA 1125 & BD 7136 (Naxos)

Diese neue Oper von George Benjamin, uraufgeführt 2012 in Aix-en-Provence in der Regie von Katie Mitchell und in den Hauptrollen brillant besetzt, hat im Anschluss daran an diversen europäischen Opernhäusern für Aufsehen gesorgt. Williams zeichnete die spektakuläre Produktion in Covent Garden auf. Benjamin erfand den Belcanto des 21. Jahrhunderts, fein ziselierte Nervenmusik mit gelegentlichen Ausbrüchen – für eine mittelalterlich-ewig neue Dreieckgeschichte: brutaler Mann, sensibler junger Liebender, aus Unterdrückung und Anpassung erwachende Frau, die sich im Selbstmord behauptet. All dies in einer von »Engeln« fast surreal entrückten, spartanisch herben, zugleich sehr sinnfälligen Inszenierung. Für die Jury: Wolf-Dieter Peter

Chor und Vokalensemble

Carl Philipp Emanuel Bach: Magnificat Wq 215

& Heilig ist Gott Wq 217, Sinfonie D-Dur Wq 183/1. RIAS Kammerchor, Akademie für Alte Musik, Hans-Christoph Rademann. harmonia mundi HMC 902167

Carl Philipp Emanuel Bach erweist sich mehr und mehr als ein grandioser Mittler zwischen den Epochen. Zugleich ist er ein großer Eigenwilliger. Diese wunderbare neue Aufnahme seines Magnificat mit dem RIAS Kammerchor und der Akademie für Alte Musik unter Leitung von Hans-Christoph Rademann wird der weitgespannten Vielseitigkeit des Komponisten und seiner teils schmeichelnden, teils kühnen Musik mehr als gerecht. Diese Lesart ist eingebettet in das rekonstruierte Teilprogramm eines Benefizkonzertes, welches CPE Bach selbst 1786 am Palmsonntag dirigiert hat, mit Werken seines berühmten Vaters sowie eigenen, darunter das doppelchörige »Heilig ist Gott«. Man spürt den Schatten Bachvaters, zumal in der abschließenden Chorfuge des »Magnificat«. Und trotzdem ist dies ein Werk echten Fortschritts. Für die Jury: Wolfram Goertz

Klassisches Lied und Vokalrecital

Verdi – Krassimira Stoyanova

Arien aus Aida, Il Trovatore, Giovanna d’Arco, Luisa Miller, La Traviata, Don Carlo, La Forza del Destino, Otello. Krassimira Stoyanova, Münchner Rundfunkorchester, Pavel Baleff. Orfeo C 885 141

Mit diesem Verdi-Recital beweist die bulgarische Sopranistin Krassimira Stoyanova einmal mehr, dass sie heute im jugendlich-dramatischen wie auch im Lirico-spinto-Fach eine Sonderstellung einnimmt: Die Tonschönheit und der timbrale Reiz der Stimme sind ebenso herausragend wie die dynamische Kontrolle ihres Singens. Beeindruckend ist die emotionale Intensität des Ausdrucks. Es gibt offenbar keine technischen Grenzen für diese Sängerin, allenfalls in den virtuos-verzierten Phrasen etwa der beiden Leonoren-Arien aus »Il Trovatore« ist sie noch steigerungsfähig. Für die Jury: Jürgen Kesting

Alte Musik

Christoph Graupner: »Himmlische Stunden, Selige Zeiten«

Kantaten. Miriam Feuersinger, Capricornus Consort Basel, Peter Barczi. Christophorus CHR 77381 (Note 1)

Wie konnte es geschehen, dass der Leipziger Rat einst Christoph Graupner einem Johann Sebastian Bach vorzog? Die gelassen beseelte, technisch makellose Interpretation von Miriam Feuersinger, die vier Solokantaten aus Graupners reichem Kirchenmusik-Schaffen vorstellt und damit zugleich eine Hommage hält auf die Sangeskunst der bedeutenden deutschen Primadonna Johanna Elisabeth Döbricht-Hesse, liefert dazu eine sinnlich nachvollziehbare Erklärung: Tiefe in der Textausdeutung, stimmliche Virtuosität und eine fantasievolle Vielfalt der Texturen verbinden sich hier zwanglos mit den durchgehend beachteten galanten Idealen von Kantabilität und Klangsinnlichkeit. Für die Jury: Carsten Niemann

Zeitgenössische Musik

Georges Aperghis: Wölfli-Kantata

Neue Vocalsolisten Stuttgart, SWR-Vokalensemble Stuttgart, Marcus Creed. Cypres CYP 5625 (Note 1)

Halluzinierend und sezierend präzise zugleich: Die Musik, die Georges Aperghis auf Texte des seelenkranken Dichters Adolf Wölfli komponierte, skizziert ein bebendes Bild vom Menschen. Da befinden sich Sinnhaftes und symbolistisch Verschlüsseltes um Schuld, Wahn, religiöse Inbrunst, Zahlenmagie und mehr in unstetem Fluss. Der Gesang a cappella scheint zu changieren zwischen Tumultuösem wie auf der Agora, Gespensterwispern im Kopf, brodelnden Sprechkaskaden und herzzerreißend schönen Klängen. Konzentriert, hochvirtuos wirken die fantastischen Sängerinnen und Sänger, sie setzen affektive Schlaglichter von atemberaubender Eindringlichkeit. Höchstes Lob für alle Beteiligten! Für die Jury: Helmut Rohm

Historische Aufnahmen

Beethoven & Brahms: Complete Symphonies

Ludwig van Beethoven: Symphonien Nr. 1-9; Egmont-Ouvertüre; Coriolan-Ouvertüre; Die Geschöpfe des Prometheus. Wilma Lipp, Ursula Boese, Fritz Wunderlich, Franz Crass, Wiener Singverein, Philharmonia Orchestra, Otto Klemperer (1960). Johannes Brahms: Symphonien Nr. 1-4. Münchner Philharmoniker, Rudolf Kempe (1975/76). 10 CDs, Membran Documents 600.135 (Membran)

Hier werden exemplarische Beethoven- und Brahms-Wiedergaben wieder zugänglich gemacht. Eine Demonstration musikalischer Geradlinigkeit und innerer Strenge lieferte Otto Klemperer, als er sein Londoner Philharmonia Orchestra 1960 im Wiener Musikvereinssaal dirigierte. Der Live-Mitschnitt der neun Beethoven-Symphonien lässt große Inspiration durch den legendären Konzertsaal der alten Musikstadt hören, in Darstellungen von Nachdruck plus Leuchtkraft. Die vier Brahms-Symphonien mit den Münchner Philharmonikern unter Chefdirigent Rudolf Kempe, aufgenommen fünfzehn Jahre später, sind durch Klangsinnlichkeit und Klarheit gekennzeichnet. Der aus der Dresdner Tradition stammende Kempe liebte den Symphoniker Brahms in seiner instrumentalen Erregbarkeit. Für die Jury: Wolfgang Schreiber

Grenzgänge

Vijay Iyer: Mutations

ECM 2372/3764798 (Universal)

Mit »Mutations« offenbart der Pianist Vijay Iyer faszinierende Facetten seines Schaffens. Seiner Hinwendung zu Klangbereichen zeitgenössischer komponierter Musik wohnt, bei aller Abstraktion, zugleich etwas vom physischen Impuls und dem rhythmischen Impetus des Improvisators inne. Als Pianist und mit Electronics ist der Komponist in das Zusammenwirken mit einem exquisiten Streichquartett selbst involviert. Einzelne Zellen des kompositorischen Netzwerks werden hier aufeinander bezogen, fortwährend verändert und als Bausteine für Improvisationen genutzt – so setzt sich Iyer mit kühner Genialität über Genre-Grenzen hinweg. Für die Jury: Bert Noglik

Musikfilm

Beethoven in Stalingrad. Eine Konzertreise

Ein Film von Claudia und Günter Wallbrecht. Mit u.a. Tabea Zimmermann, Osnabrücker Symphonieorchester, Andreas Hotz, Edward Serov. Dreyer Gaido Musikproduktion 21083 (Note 1)

Mit ebenso viel Demut wie Selbstbewusstsein reiste das Osnabrücker Symphonieorchester 2013 nach Wolgograd, um gemeinsam mit russischen Kollegen der 70 Jahre zurückliegenden Kriegsereignisse zu gedenken – ein Andenken, das in Deutschland und Russland sehr unterschiedlich gepflegt wird. In diesem Spannungsfeld zwischen Trauma und Triumph gelang es den Ausführenden, einen menschlich-musikalischen Konsens herzustellen. Sensibel eingefangen und auf 60 Minuten komprimiert, dokumentieren die Bilder eine Mission, die in Zeiten des weltpolitischen Temperatursturzes umso nachhaltiger wirkt. Für die Jury: Wolf-Christian Fink

Jazz

Tony Lakatos: Standard Time

Jim McNeely, Adam Nussbaum, Jay Anderson. Skip Records SKP 9118-2 (Soulfood)

Es gab eine Zeit, in der Jazzmusiker vor allem der eigenen Intuition und der Aufmerksamkeit für den anderen vertrauten und wenig Wert auf ausgetüftelte Arrangements legten. An eine solche Session-Atmosphäre knüpfen die swingenden Aufnahmen des Saxophonisten Tony Lakatos mit Pianist Jim McNeely, Kontrabassist Jay Anderson und Schlagzeuger Adam Nussbaum an. Entspannt jammt das Quartett über den Beatles-Klassiker »Michelle« sowie selten gespielte Themen von Sonny Rollins, Kenny Wheeler, Cole Porter, Bill Evans oder Herbie Hancock. Lakatos ist und bleibt auf Tenor- und Sopransaxophon ein Meister differenzierter Klangfarben und weiträumiger Melodielinien. Die vier verzichten auf spektakuläre Gimmicks. Ihre Klasse zeigt sich im lockeren, rundum ausgeglichenen Zusammenspiel. Für die Jury: Werner Stiefele

Jazz

Michael Wollny Trio: Weltentraum

ACT 9563-2 (Edel)

Zu zwei Dritteln ist das neue Michael Wollny Trio identisch mit dem hochdekorierten Trio [em], nur spielt jetzt Tim Lefebvre an Stelle von Eva Kruse den Kontrabass. Aber fast scheint es, als wende sich das Trio von der Jazz-Tradition ab. Das Material stammt aus verschiedenen Kontexten spätromantischer E-Musik, und der improvisatorische Zugang wählt keine jazzüblichen Verfahren. Dennoch ist bei aller scheinbaren Ausgeglichenheit und Zartheit der Gefühle der energetische Level enorm hoch, wie in der Ruhe vor dem Sturm. Die Energie bleibt eingesponnen und befreit sich nicht eruptiv, die Konzentration gilt dem klanglichen Ereignis, seinen Ausdehnungen und Feinheiten. Von erprobten Jazz-trifft-Klassik-Klischees ist das aktuelle Michael Wollny Trio weit entfernt. Es arbeitet viel näher an dem, was im 19. Jahrhundert, im Kontext der Romantik, »Fantasieren« hieß. Für die Jury: Hans-Jürgen Linke

Traditionelle Ethnische Musik

Lee Chun-Hee: Korea

Arirang and Minyo Singing. Ocora Radio France C 560258 HM 76 (harmonia mundi)

Ein idealer Weg, »Minyo«, die alte Volksmusik Koreas, kennenzulernen, mit ihrem oft schamanistischen Hintergrund, der sich um die Wende des zwanzigsten Jahrhunderts der Kunst professionellen Gesangs angepasst hat. Lee Chun-Hee, eine Meisterin der regionalen Vokalstile, beginnt mit verschiedenen Versionen des berühmten Liedes Arirang, das als heimliche Nationalhymne gilt. Sie singt teils solo, teils mit Begleitung traditioneller Instrumente, und liefert am Ende auch große Beispiele ritueller buddhistischer Texte. Ein französisch- und englischsprachiges Booklet, das inhaltlich keine Wünsche offen lässt, bietet Erläuterungen und Übersetzungen. Für die Jury: Jan Reichow

Liedermacher

Molden, Resetarits, Soyka, Wirth: Ho Rugg

CD/LP Monkey MONCD112/MONLP012 (Rough Trade)

Mit ihren Liedern präsentieren Ernst Molden, Willi Resetarits, Walther Soyka und Hannes Wirth eine geniale Mischung aus schwarzem Blues und weißem Wienerlied. »Ho Rugg« ist meist rein akustisch gestaltet, aber hier und da darf doch mal die Elektrische loslegen. Einmal mehr erweist sich Ernst Molden als Chronist einer Stadt, die mehr Provinz als Metropole ist, und die aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Die Themen kreisen um die dunkle Wiener Seele, die gerade deswegen voller Leben ist, und um die mit der Donaustadt verbundenen Klischees, die sich bei Molden dann doch als allgemeingültige Wahrheiten entpuppen. Für die Jury: Michael Kleff

Folk und Singer/Songwriter

Adrian Raso & Fanfare Ciocarlia: Devil’s Tale

Asphalt Tango CD/LP 984022/021 (Indigo)

In Toronto kreuzten sich die Wege des kanadischen Gitarristen Adrian Raso und der zwölfköpfigen rumänischen Fanfare Ciocarlia. Der eine wie auch die anderen zählen zur crème de la crème des internationalen Gypsy-Sounds. Kunstvolles Gitarrenspiel im Manouche-Stil und wilde Offbeat-Blechblaskaskaden gehen hier wie selbstverständlich zusammen. Gitarre oder Banjo stehen immer im Zentrum, harmonisch getragen, geschoben, umwoben und liebkost von den Bläsern. Mal leicht, mal schwer, mal langsam, mal schnell werden hier mit Stil und Charme teuflische Geschichten rein instrumental erzählt. Chapeau! Für die Jury: Jo Meyer

Pop

The Notwist: Close To The Glass

City Slang SLANG 50059 (Universal)

Die Weilheimer Band The Notwist hat in den vergangenen Jahren eine eigene Soundästhetik von international bewunderter Eleganz erschaffen. Auf ihrem neuen Album »Close To The Glass« perfektionieren die drei Musiker aus Oberbayern nun ihren charakteristischen Sound: Aus Beats, Gitarren, Geblubber und Knirschen generieren sie Wohlklang, aus Geräuschen Schönheit. Nichts sitzt hier an der falschen Stelle. Alles ist zwingend so, wie es ist, in völliger Selbstverständlichkeit. Die Acher-Brüder Markus und Micha sowie Martin Gretschmann haben ein faszinierendes Werk geschaffen. Für die Jury: Philipp Holstein

Nu & Extreme (bis 2014)

Planningtorock: All Love’s Legal

CD/LP Human Level HL004 (Rough Trade)

Hinter Planningtorock verbirgt sich die in Berlin ansässige englische Elektro-Künstlerin Janine Rostron. Mit diesem Album rückt sie ihren dekonstruktivistischen Feminismus ein Stück weit aus der Nische. »Let’s Talk About Gender Baby«, »Misogyny Drop Dead«, »Patriarchy Over & Out« – so heißen die Songs. Auch musikalisch setzt Planningtorock auf größere Reichweite. »Human Drama« kommt so humanmelodramatisch daher wie einst Bronski Beats »Smalltown Boy«, der aus seinem Kaff floh, wo er seine Sexualität nicht leben konnte. Wie gehabt formt Rostron ihre Stimme zu einem hypergeschlechtlichen Organ, allerdings stellt sie sich musikalisch eindeutiger denn je in das Kontinuum des sexuell andersdenkenden Pop, spannt einen Bogen von Hercules & Love Affair über den Gay Pop der Achtziger (Frankie Goes To Hollywood, Culture Club, Erasure, Bronski Beat) und Hi-NRG bis zur Proto-House-Ekstase von Sylvester und Patrick Cowley. Für die Jury: Klaus Walter

Blues

Robben Ford: A Day In Nashville

Provogue PRD 7432 2 (Rough Trade)

Mit diesem neuen Album gelingt es dem Kalifornier Robben Ford samt seiner Band in herausragender Weise, auf dem Fundament des Blues sein ureigenes musikalisches Gebäude zu errichten – mit dem Understatement eines wahren Könners und mit der für ihn so typischen nonchalanten Art. Dass der Gitarrist und Sänger als Architekt seiner Kompositionen das Bluesschema ein ums andere Mal sprengt, ist ebenso nachvollziehbar wie sein Flirt mit Jazz, Fusion und sogar Pop. »A Day In Nashville« ist eine herzerfrischende Angelegenheit. Für die Jury: Karl Leitner

R&B, Soul und Hip-Hop

Moodymann

CD/LP KDJ 44 (www.mahoganimusic.com)

Künstler und Werk weigern sich, von Worten eingefangen zu werden. So wie der DJ Moodymann früher oft unter einem weißen Tuch verborgen seine Platten auflegte, verschwindet der Produzent und Sänger Moodymann in einem Dschungel von Klängen. Moodymann, in den 1990er Jahren einer der Innovatoren des Deep-House, beschwört die afro-amerikanische Kultur und den Geist von Detroit (seiner Heimatstadt), die beide bedroht sind. In einer 27 Stücke langen Song-Collage finden sich zahllose Andeutungen, werden Versprechen gemacht, etwa auf den nächsten massentauglichen Club-Track, nur um immer wieder Erwartungen zu enttäuschen. Wir werden konfrontiert mit einem hochintelligenten Musik-Archivar und seiner eigenen Geschichtsschreibung schwarzer Musik. So wie Detroit zerfällt, dekonstruiert Moodymann das gewaltige Erbe der afro-amerikanischen Pop-Musik. In diesen Ruinen blüht etwas Neues auf. Für die Jury: Andreas Müller

Wortkunst

Wolfgang Herrndorf: Arbeit und Struktur

August Diehl. 8 CDs, Argon Verlag ISBN 978-3-8398-1325-6

Das Tagebuch eines Todkranken, der dieses nicht für die Öffentlichkeit, sondern für sich und seine Freunde geführt hat; der sein Schicksal darin nicht beklagt, vielmehr bis zuletzt seinem zerbrechlichen Leben in kluger Selbstreflexion einen Sinn zu geben versuchte: literarisch fundiert, in der Naturbeobachtung ungemein differenziert. »Menschliches Leben«, so befand Wolfgang Herrndorf, »endet da, wo die Kommunikation endet.« Als er diesen Zeitpunkt in sich verspürte, nahm er sich, im August 2013, das Leben. »Arbeit und Struktur« ist ein berührendes Zeugnis von Krankheit und Tod. Und August Diehl lässt als hochsensibler Sprecher den Hörer die flammende Intensität Herrndorfs nahezu authentisch nachempfinden. Für die Jury: Peter Fuhrmann

Kinder- und Jugendaufnahmen

Kirsten Boie: Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen

Jürgen Uter, Katja Danowski, Julia Nachtmann, Aleksandar Radenković. 2 CDs, Jumbo Neue Medien 443 212-2, ISBN 978-3-8337-3212-6 (DA Music)

»Wenn die Geschichten traurig sind, kann ich es nicht ändern. Trauriger als die Wirklichkeit sind sie nicht«, sagt Kirsten Boie im Nachwort zu ihren Geschichten aus Swasiland, einem kleinen Königreich im Süden Afrikas. Nirgendwo sonst auf der Welt ist die Aidsrate so hoch wie hier, beinahe jede Familie ist betroffen. Kirsten Boie, die zu den wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur für Kinder und Jugendliche gehört, erzählt in der ihr eigenen, sehr berührenden Art von Thulani, Lungile, Sonto und Sipho, von Kindern, elf, zwölf oder dreizehn Jahre alt, die viel zu früh Verantwortung übernehmen müssen und dem Leben dennoch tapfer die Stirn bieten. Es sind bewegende Geschichten von großer Intensität, die lange nachwirken, einfühlsam gesprochen von Jürgen Uter, Katja Danowski, Julia Nachtmann und Aleksandar Radenković. Mit einem Nachwort der Autorin und einem Gespräch über ihre Erfahrungen in Swasiland. Für die Jury: Juliane Spatz

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