Starke Stimme aus Bremen
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Starke Stimme aus Bremen

Zum Abschied von unserer Jurorin Marita Emigholz (11.05.1951 – 25.08.2023)

19.09.2023 – Eine wohltuende Ruhe strahlte Marita aus, als wir uns in Donaueschingen beim Eröffnungskonzert der Musiktage begegneten – vermutlich 2016. Ein paar Minuten später klärte sich dieses innere Lächeln auf: Ihr Mann kam und setzte sich neben uns. Ich sprach sie auf die an ihr so ungewohnte Gelassenheit an. Ja, nach der aktiven Zeit als Rundfunkredakteurin unternähmen sie viel gemeinsam, erklärte sie und so hätten sie das Oktoberwochenende der Donaueschinger Musiktage genutzt und waren schon ein paar Tage vorher losgefahren, um zusammen durch den Schwarzwald zu wandern.

Nicht wie sonst etwas Getriebenes, kein von vornherein skeptisches Urteil über die Komponierenden, die es in den inneren Kreis der Auserwählten nach Donaueschingen geschafft hatten, kein Stöhnen über die Veränderungen der Arbeitsbedingungen beim Sender, Marita sah guter Stimmung und neugierig den Konzerten entgegen. Auch wenn sie vermutete, dass sie auch in diesem Jahr nicht unbedingt ihre Lieblingsstücke entdecken würde, sie freute sich auf den Kreis derer, mit denen sie mal wieder auf Augenhöhe und intensiv am Rande der Konzerte über die Entwicklung der Neuen Musik sprechen konnte, und das gefiel ihr.

Wie lange ich Marita kannte, weiß ich gar nicht mehr. Spätestens seitdem ich jede Woche eine Sendung mit Neuer Musik für NDR Kultur produzierte – und das immerhin seit 1996 –, hatte sie mich auf dem Schirm. Informierte mich über ihre Entdeckungen, ihre Produktionen, Festivals. Sie verstand es unterhaltsam, Hörerinnen und Hörer für Neue Musik auf Konzertprogrammen der etablierten Konzertsäle wie der Off-Szene zu interessieren und zu begeistern, aber sie wollte mehr: Sie wollte das Unerhörte, das wirklich Neue entdecken, Namen auf die Bühne der Neuen Musik bringen, die nicht schon international Karriere machten. Daher auch ihr vehementer Einsatz für den Sendesaal, damit die Komponierenden allerbeste Aufnahmen bekämen und es leichter hätten, mit solchen akustischen Demos auf sich aufmerksam zu machen. Der Erfolg hat sie belohnt.

Mit Marita konnte man streiten, oder besser: musste man streiten, denn sie mochte es nicht, wenn man einfach nur skeptisch abweisend einem Musikstück gegenüber blieb, sie forderte Argumente und vor allem Hintergrundwissen. Rein emotionale Ablehnung gab es bei ihr nicht. Das zeigte sich über Jahre auch beim Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Dort waren wir viele Jahre in der Jury für Zeitgenössische Musik zusammen. Alle drei Monate, wenn die Liste mit den Vorschlägen der anderen Mitglieder aus der Jury kam, war ich besonders gespannt auf Maritas Vorschläge, denn bei ihr konnte ich fast sicher sein: Sie wusste auch von kleinen Produktionen, die noch nicht im großen Netz der Multiplikatoren der Neuen Musik angekommen waren. Sie hatte sich ein ganz eigenes Netzwerk an Veranstaltern und Quellen aufgebaut, die vielfach auf sie als Veranstalterin von Konzerten bei Radio Bremen zurückzuführen waren.

Als sie sich bei der ersten Vierteljahresliste in diesem Jahr nicht mit einem Titel gemeldet hatte, schrieb ich ihr eine Mail, was los sei; als sie auch für die zweite Liste keinen Titel nominierte, versuchte ich, sie telefonisch zu erreichen. Anfang August hatte ich Glück. Ihr Internet sei abgestürzt, sie maile derzeit nicht und sie komme auch nicht mehr so schnell ans Telefon, manchmal sei sie in einer anderen Etage und dann bekäme sie das Läuten des Telefons gar nicht mit.

Wir sprachen lange: vor allem über die große Trauer, über das riesengroße Loch, das der Tod ihres Ehemannes vor zwei Jahren in ihr Leben gerissen hatte, der Verlust der Jugendliebe, die so lange gehalten hatte, war noch sehr präsent. Marita suchte Trost in den Worten ihres Mannes, der bis zur letzten Minute lachen und tanzen wollte. Aber wir sprachen auch darüber, dass man im Alter noch neue Freundschaften schließen könne. So erzählte sie von einer Künstlerin, die bei ihr in der Straße wohnt, mit der sie sich regelmäßig austausche, man stecke sich gegenseitig kleine Notizen und Zeichnungen in den Briefkasten. Und wie sie das sagte, da hörte ich ein kleines Lächeln über ihr Gesicht huschen.

Marita litt darunter, dass sie sich nicht mehr selbständig fortbewegen konnte. Ihre Unbeweglichkeit machte ihr zu schaffen, weil es auch die Besuche bei Freunden und gemeinsame Unternehmungen massiv einschränkte. Dabei war sie dankbar für die vielen helfenden Hände in ihrer Nähe, sie sei rundum gut versorgt, erzählte sie und vermittelte mir dabei den Eindruck, dass sie sich auf diesem Boden das Leben wieder mit Zuversicht neu einrichten könne.

Marita Emigholz hat einen festen Platz im Konzertleben in Deutschland. Mit ihrem erfolgreichen Engagement als Kämpferin für den Sendesaal von Radio Bremen und als Anwältin zahlreicher Komponierender, die eine kleine oder gar keine Lobby haben, wird sie in vieler Hinsicht Vorbild bleiben.

Und wenn ich heute an Marita denke, dann sind das Lächeln und die Zuversicht die ersten Eindrücke an diese starke Frau.

(Für den PdSK: Margarete Zander)

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