Bestenlisten

Mit einem Platz auf der Bestenliste werden vierteljährlich die besten und interessantesten Neuveröffentlichungen der vorangegangenen drei Monate ausgezeichnet. Bewertungskriterien sind künstlerische Qualität, Repertoirewert, Präsentation und Klangqualität. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jeder Bestenliste hinterlegt.

NEU: Longlist 2/2024, veröffentlicht am 5. April 2024

Bestenlisten

Orchestermusik und Konzerte

Schostakowitsch: Symphonien Nr. 9 & 15

Dmitri Schostakowitsch: Symphonien Nr. 9 Es-Dur op.70 und Nr.15 A-Dur op.141. Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, Andrey Boreyko. Hänssler Classic CD 93.284

Dem Dirigenten Andrey Boreyko gelingt das Kunststück, hinter dem Aufgekratzten die Verzweiflung, hinter dem Privaten das Politische und hinter der Spielfreude die Resignation aufzuspüren. Der Maskenmann Dmitri Schostakowitsch hat eben viele Gesichter. Fulminant gespielt, aber nicht vorlaut! Für die Jury: Rainer Wagner

Orchestermusik und Konzerte

Vilde Frang – Tschaikowsky, Nielsen

Peter Tschaikowsky: Violinkonzert op.35 D-Dur. Carl Nielsen: Violinkonzert op.33. Vilde Frang, Danish National Symphony Orchestra, Eivind Gullberg Jensen. EMI 6 02570 2

Tschaikowskys Violinkonzert, ein Schlachtroß des Repertoires, begegnet dem immer noch wenig beachteten Violinkonzert von Carl Nielsen, einem Meisterwerk mit ganz eigenem Klang. Die junge norwegische Geigerin Vilde Frang engagiert sich gleichermaßen für beide Werke, geigerisch enorm souverän, risikobereit und eigenwillig expressiv. Mitreißend auch das Spiel des Dänischen Rundfunk-Sinfonieorchesters unter Eivind Gullberg Jensen. Für die Jury: Norbert Hornig

Kammermusik

Artemis Quartett – Schubert: Streichquartette

Franz Schubert: Streichquartette Nr.13 D 804 a-Moll »Rosamunde«, Nr.14 D 810 d-Moll »Der Tod und das Mädchen« und Nr.15 D 887 G-Dur. Artemis Quartett. 2 CDs. Virgin Classics 5 0999960 251220 (EMI)

Die späten Streichquartette Franz Schuberts bilden eine subjektive Welt für sich. Umso konsequenter ist es, sie im objektiven Kontext und im stilistischen Kontrast zu denen von Beethoven zu erarbeiten. Das Artemisquartett hat sein erst jetzt veröffentlichtes Schubert-Album bereits 2009 aufgenommen, also mitten in seinem Beethovenzyklus. Intensive Klangrede, liedhafte Gesanglichkeit und eine unerbittlich zupackende Dramatik sind die Stichworte für diesen außergewöhnlichen Zugriff. Für die Jury: Eleonore Büning

Tasteninstrumente

Schumann: Charakterstücke I

Robert Schumann: Papillons op.2, Intermezzi op.4, Romanzen op.28 und diverse kleinere Werke. Florian Uhlig. Hänssler Classic CD 98.646 (Naxos)

Florian Uhlig bringt auch in der neuen Aufnahme seines Schumann-Projekts Musikalität, »Musikantikalität« und Virtuosität auf einen Nenner. Nie in der Gefahr, sich in rein maschinenhaftes Spiel zu flüchten, stellt er den zwischen widerspenstigem Wildwasser und ruhigem Fließen pendelnden Strom der Schumannschen Musik so stimmig wie abwechslungsreich dar. Technische Brillanz als Diener eines künstlerischen Konzepts – so soll es sein. Für die Jury: Kalle Burmester

Tasteninstrumente

Heinrich Scheidemann: Orgelwerke

Heinrich Scheidemann: Ein feste Burg ist unser Gott WV 76, Fantasia in d WV 83, Kyrie Summum WV 12 u.a. Hans Leo Hassler: Motette Verbum caro factum est. Leo van Doeselaar, an der van Hagerbeer-Orgel der Pieterskerk, Leiden. Dabringhaus und Grimm MDG 906 1746-6 (Codaex)

Dies ist ein außergewöhnlich glückliches Zusammentreffen: Ein kundiger, beredt musizierender Spieler (Leo van Doeselaar) an einer der bedeutendsten frühbarocken Orgeln Europas, hervorragend restauriert mit einem klug gewählten Querschnitt durch das Oeuvre eines der großen Tastenmeister des 17. Jahrhunderts (Heinrich Scheidemann). Die Aufnahmetechnik lässt all dies plastisch und warm zur Geltung kommen. Zur Reise in eine ferne Klangwelt verführt die beigegebene Vorstellung der wichtigsten Farben der Orgel in der Leidener Pieterskerk. Für die Jury: Friedrich Sprondel

Oper

Peter Tschaikowsky: Eugen Onegin

Mit Krassimira Stoyanova, Bo Skovhus, Andrej Dunaev u.a. Chor der Nederlandse Opera, Royal Concert Gebouw Orkest, Mariss Jansons. Regie: Stefan Herheim. DVD Opus Arte OA 1067 (Naxos)

Eine Ballnacht wird zur Erinnerungszeitreise: Da lässt der Oligarch Gremin allen denkbaren Protz auffahren und mittendrin durchleben Onegin und Tatjana ihr Scheitern, umgeben von Fetzen russischer Geschichte. Abermals hat der Regisseur Stefan Herheim mit seinem Bühnenteam eine multiperspektivische Werkdurchdringung erzielt, dazu kommen exzellente Sänger, von Mariss Jansons leidenschaftlich geführt. Ein »Eugen Onegin« für den mitdenkenden Musiktheaterfreund. Für die Jury: Wolf-Dieter Peter

Chor und Vokalensemble

Herr auf dich traue ich – Nicolai: Psalmen

Otto Nicolai: Psalmen Nr.31, Nr.54, Nr. 84, Nr.97 und Nr.100, Liturgie Nr.1 und Offertorium in Assumptione Beatae Mariae Virginis. Kammerchor Stuttgart, Frieder Bernius. Carus 83.299 (Note 1)

Diese Aufnahme macht bekannt mit einem kaum noch beachteten Komponisten, sie zeigt Otto Nicolai von einer überraschenden Seite. Dabei ist die Qualität der Werke ebenso faszinierend wie ihre Interpretation, es begegnen sich, quasi »im heiligen Geiste«, Nicolai und Palestrina. Der wunderbar luzide und elastische Chorklang lässt in wahrer romantischer Sensibilität sein Licht leuchten über der genuinen Expressivität der Musik wie über ihren historisierenden Echos. Für die Jury: Martin Mezger

Klassisches Lied und Vokalrecital

Marlis Petersen – Goethe-lieder

Werke von Walter Braunfels, Ernst Krenek, Franz Liszt, Hans Sommer, Robert Schumann, Manfred Trojahn, Hugo Wolf u.a. Marlis Petersen, Jendrik Springer. Harmonia Mundi HMC 902094

Man spürt sofort, dass hier eine Lieder singt, die sie selbst (be-)treffen: Eine Stimme, aus der gelebtes Leben spricht, wandelbar, farbensatt und von fragiler Stärke. Wenn Marlis Petersen sich in den verschiedensten Liedkompositionen, von Schubert bis Ives, von Schumann bis Trojahn, Goethes Frauenfiguren anverwandelt, wenn sie mit emotionaler Intelligenz und makelloser Technik das »Ewig-Weibliche« umkreist, entstehen hinreißend persönliche, trauerfrohe Psychogramme. Für die Jury: Albrecht Thiemann

Alte Musik

Castello, Fontana: Sonate concertate

Dario Castello: 2 Sonaten für Violine Solo, 4 Sonaten für Violine und Fagott. Giovanni Battista Fontana: 4 Sonaten für Violine Solo, 3 Sonaten für Violine und Fagott. John Holloway, Jane Gower, Lars Ulrik Mortensen. ECM New Series 2106/4764641 (Universal)

Die »Sonate concertate in stil moderno« von Castello von 1621 bzw.1629 sprengen in satz- wie auch in geigentechnischer Hinsicht alle seinerzeit bekannten Grenzen, und Fontanas Schwesterwerke erschließen eine neue Dimension instrumentaler Kantabilität. John Holloway, Jane Gower und Lars Ulrik Mortensen bringen diese Aspekte in geistreichen Dialogen mit Spielwitz und Empathie zur Geltung. Ihre oft frappierende Virtuosität erwächst immer nachvollziehbar direkt aus der Musik selbst. Für die Jury: Matthias Hengelbrock

Zeitgenössische Musik

Mauricio Kagel: Chorbuch, Les Inventions d’Adolphe Sax

Cor de Jong, Sepp Grotenhuis, Nederlands Kamerkoor, Raschèr Saxophone Quartet, Klaas Stok, Mauricio Kagel. Winter & Winter 910 191-2 (edel)

Bei dieser Aufnahme handelt es sich um das zehnte Kagel-Album des in München ansässigen Labels Winter & Winter, es ist die letzte, die unter Mitwirkung von Mauricio Kagel entstand. Er dirigiert sein »Chorbuch« selbst und ist auch als Sänger zu erleben. In historischer, editorischer und künstlerischer Hinsicht eine extrem verdienstvolle Veröffentlichung. Für die Jury: Marita Emigholz

Historische Aufnahmen

Samson François – The Debussy Recordings

Claude Debussy: Preludes Livres I & 2, Children’s Corner, Suite Bergamasque, Image I & 2 u.a. 3 CDs, EMI 50999 638754 2 3

Anlass für diese Wiederveröffentlichung einer herausragenden Debussy-Aufnahme der französischen EMI ist das Debussy-Jubiläum im August. Eine Werkauswahl, die das Klavierschaffen Claude Debussys über alle Lebensstufen hinweg repräsentiert. Samson François, der zu früh Verstorbene, spielt facettenreich und hypnotisierend, die von ihm erreichte Durchhörbarkeit führt zu einer greifbar scheinenden Imagination, beispielhaft etwa in »Children’s Corner«. Für die Jury: Stephan Bultmann

Grenzgänge

Matthias Schriefl: Six, Alps & Jazz

young german jazz. ACT 9670-2 (edel)

Free Jazz und Punzenjodler, Reggae-Rhythmen und Ländler: »Six, Alps & Jazz« ist ein echter Grenzgang in alpiner Höhenluft. Neben allen denkbaren Blasblechen der Jazz- und Swing-Ära greift Bandleader Matthias Schriefl auf volksmusikalische Geheimwaffen wie Alphorn, Schweglerflöte, Obertonstimmen und Jodler zurück. Spielfreude und Hörspaß pur! Für die Jury: Nikolaus Gatter

Jazz

Ella Fitzgerald: The 1961 Amsterdam Concert

Solar Records 4569915. (harmonia mundi)

Die Mutter des Jazzgesangs mit einem bislang unveröffentlichten Live-Mitschnitt! Ella Fitzgerald singt, begleitet von einem Quartett mit dem Pianisten Lou Levy und dem Gitarristen Herb Ellis überwiegend konventionelle Standards, aber auch ihre Hits wie »Mack the Knife« und »Mr. Paganini«. Richtig ins Scatten kommt sie beim St.Louis Blues, da wirbeln die Silben treffsicher durcheinander. Für die Jury: Herbert Lindenberger

Jazz

Louis Sclavis Atlas Trio: Sources

ECM 2282/279 9532 (Universal)

Jede Gruppe ein Mini-Labor: der französische Klarinettist Louis Sclavis sucht anstelle eines identifizierbaren Personalstils nach immer neuen Formen der Improvisation und Interaktion. Sein jüngstes Projekt mit dem Pianisten Benjamin Moussay und Gilles Coronado an der E-Gitarre erweist sich in dieser Hinsicht als unorthodoxer Glücksfall. Das Atlas Trio definiert zeitgenössischen Jazz als pulsierendes Puzzle-Spiel voller überraschender Verwandlungen. Für die Jury: Peter Kemper

Liedermacher

Kai Degenhardt: Näher als sie scheinen

Plattenbau 12030

Das neue Album von Kai Degenhardt hört sich an wie ein spannender Roman: in sich geschlossen, mit gekonnten Tempowechseln, musikalisch klar, minimalistisch, voller Überraschungen. Gitarren treffen auf unaufdringliches Sampling, das Bänkellied steht neben Road-Movie und Kurzgeschichte, Erfundenes neben historischen Momentaufnahmen. Immer politisch, aber nie nur tagespolitisch, schenkt Degenhardt dem Hörer die Freiheit, weiter zu denken. Für die Jury: Hans Reul

Folk und Singer/Songwriter

Bande Italiane

Banda Ionica, Opa Cupa, Banda Olifante, Bandadriatica, Municipale Balcanica. Network Medien 495138 (Membran Media)

Eine Banda ist ein traditionelles, italienisches Orchester ohne Saiteninstrumente, bestehend nur aus Bläsern und Perkussionisten. Noch heute spielen in Italien mindestens fünftausend dieser Bandas meist traditionelles Repertoire. Seit etwa fünfzehn Jahren sind nun junge Musiker zwischen Apulien und der Romagna dabei, die Musik ihrer Bandas mit Rhythmen und Melodien aus anderen Kulturen zu kreuzen. Entstanden ist dabei etwas aufregend Neues, das sich das Fremde zu Eigen macht, ohne das Eigene zu verleugnen: eine wunderbar gefühlvolle und dynamische Weltoffenheit, die Lust auf mehr macht. Für die Jury: Jo Meyer

Pop

Garland Jeffreys: The King of In Between

BIG LAKE 471107-2 (Rough Trade)

Garland Jeffreys ist ein Seismograph New Yorker Befindlichkeiten. Nach dreizehn Jahren Pause veröffentlicht der Sänger und Songwriter, der als Jugendlicher schon mit Charles Mingus in der Bar nebenan abhing und für den Lou Reed gerne ein wenig »Doo doo doo« im Hintergrund singt, ein Album voller Geschichten, die ebenso unspektakulär wie eindringlich amerikanischen Stadtalltag einfangen. Ein bisschen Ska, etwas Folk, eine Prise Soul und den Blues im Herzen – mit dieser Mischung ist ein Album entstanden, das Garland Jeffreys als Pop-Poeten der melancholischen Gelassenheit präsentiert. Für die Jury: Ralf Dombrowski

Independent (bis 2014)

Beach House: Bloom

Bella Union / Cooperative Music 0602527976488 (Universal)

Victoria Legrands dunkler Gesang und die Klangschleifen aus Slide-Gitarren und Keyboards, die sie gemeinsam mit ihrem Partner Alex Scally als »Beach House« nun schon seit sechs Jahren zu traumhaften Songs verwebt, hat mit der Platte Bloom ihren Höhepunkt erreicht. »Beach House« sind wahre Meister des Dream-Pop! Für die Jury: Jumoke Olusanmi

Nu & Extreme (bis 2014)

WIXIW: Liars

mute CDSTUMM343 (GoodToGo)

Aus der New Yorker Dance-Punk-Szene kommend, erfindet das Trio Liars seinen Sound mit jedem Album neu. Auf dem neuesten, WIXIW, zeichnen extreme Elektroniksounds, an Dubstep erinnernde Bässe und der zuweilen verfremdete Gesang von Angus Andrew ein düsteres Klangbild, das nur selten von organischen Elementen aufgehellt wird. Eine spannende Reise in die Abgründe des Klangs und der Emotionen. Für die Jury: Guido Halfmann

Blues

Colin Linden: Still Live

CrossCut Records CCD 12012. (In-Akustik)

Es gibt Alben, mit denen man sich als Hörer augenblicklich pudelwohl fühlt. Colin Lindens »Still Live« ist so eines. Hier passt schlichtweg alles. Die kleine, feine Band spielt mit lässigem Charme gehaltvollen Singer/Songwriter-Blues und unterstützt einen begnadeten Geschichtenerzähler, dem man seine Bühnenpräsenz sogar anmerkt, wenn man ihn nicht sieht. Dass Colin Linden einer der versiertesten Slidegitarristen der Szene und einer ihrer fundiertesten Komponisten ist, wusste man vorab. Mit dieser ersten Live-Veröffentlichung seit dreißig Jahren beweist er, dass er auch einer ihrer Top-Performer ist. Für die Jury: Karl Leitner

R&B, Soul und Hip-Hop

Georgia Ann Muldrow: Seeds

Epistrophik Pea 1989975

Zwei Alben pro Jahr sind für die Sängerin, Komponistin und Multi-Instrumentalistin Georgia Ann Muldrow ein normales Arbeitspensum. Erstaunlich, dass sie dabei stets ein hohes Niveau hält. Auf dem Album Seeds trifft sie die Hip Hop Produzentenlegende Madlib, gemeinsam schaffen die beiden eine dramatisch-dynamische Klanglandschaft, die großzügig schwarze Kulturgeschichte zitiert und dabei eine ganz neue Musik hören lässt. Für die Jury: Andreas Müller

Wortkunst

Unerwartet Marseille

Peter Kurzeck erzählt. 2 CDs. Stroemfeld Verlag, Frankfurt ISBN 978-3-86600-007-0

Was die Kunst des mündlichen Erzählens vermag, wenn sie aus einem fulminanten Gedächtnis, einem empfindsamen Sprachgefühl und einer starken poetischen Kraft gespeist wird: Bei Peter Kurzeck wird sie Ereignis! Das Leben selbst kommt zu Wort. Kurzeck ist ein Erzähler, wie es in Deutschland keinen zweiten gibt. Für die Jury: Wend Kässens

Kinder- und Jugendaufnahmen

James Krüss: Die Seefahrt nach Rio

Mit Songs von Wolfgang von Henko, gelesen von Nicki von Tempelhoff. HörCompany Hamburg ISBN 978-3-942587-25-9

Fast ein halbes Jahrhundert nach der Erstveröffentlichung gibt es den Kinderbuchklassiker »Die Seefahrt nach Rio« von James Krüss in einer Neuauflage, dazu eine CD, die mehr bietet als nur eine Lesung. Den Rhythmus der Reime unterbrechen neun stimmungsvolle Lieder, komponiert von Wolfgang von Henko. Auch im Zeitalter von Atlantikflügen bezaubert die Vorstellung einer abenteuerlichen Seefahrt noch immer, und sei es, dass das heimische Sofa zum schwankenden Schiff wird. Für die Jury: Regina Himmelbauer

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