Bestenlisten

Mit einem Platz auf der Bestenliste werden vierteljährlich die besten und interessantesten Neuveröffentlichungen der vorangegangenen drei Monate ausgezeichnet. Bewertungskriterien sind künstlerische Qualität, Repertoirewert, Präsentation und Klangqualität. Die Longlists sind ab 2014 direkt bei jeder Bestenliste hinterlegt.

NEU: Longlist 2/2024, veröffentlicht am 5. April 2024

Bestenlisten

Orchestermusik und Konzerte

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 4

Sabine Devieilhe, Les Siècles, François-Xavier Roth. harmonia mundi HMM 905357 (harmonia mundi/Bertus)

Wenn François-Xavier Roth am Dirigentenpult wirkt, klingt es anders als gewohnt. Ganz besonders gilt das, wenn er mit Les Siècles auftritt, dem von ihm gegründeten Symphonieorchester, das Instrumente aus der Entstehungszeit der von ihm gespielten Werke verwendet. So auch bei Mahlers Vierter. Nicht nur ungewöhnliche Instrumentalfarben prägen das Bild, entscheidend ist auch die adäquate Spielweise, etwa der sparsame Umgang mit dem Vibrato. Leicht und hell, vor allem aber äußerst belebt klingt Mahler hier. Und im Finale fügt sich Sabine Devieilhe mit schlanker, aber nicht knabenhafter Stimme ein. Für die Jury: Peter Hagmann

Orchestermusik und Konzerte

Recuerdos

Sergej Prokofjew: Violinkonzert Nr.2 op.63; Benjamin Britten: Violinkonzert op. 15; Pablo de Sarasate: Carmen Fantasie (nach Bizet) op. 25; Francicso Tárrega: Recuerdos de la Alhambra. Augustin Hadelich, WDR Sinfonieorchester, Cristian Măcelaru. Warner 0190296310768

Das spanisch inspirierte Album »Recuerdos« stellt das künstlerische Profil von Augustin Hadelich in ein strahlendes Licht. Die technische Souveränität, Klarheit und Intensität dieses Geigers sind bezwingend. Sarasates Carmen-Fantasie klingt ideenreich bis ins Detail. Die Interpretation von Prokofjews Zweitem Violinkonzert lotet tief. Das Violinkonzert von Britten, ein lange vernachlässigtes Meisterwerk, geht unter die Haut. Hadelich verinnerlicht alles, er stellt sich aufrichtig in den Dienst der Musik, frei von Manierismen und Selbstdarstellungsdrang. Das WDR Sinfonieorchester und Cristian Măcelaru sind höchst aufmerksame Mitgestalter. Für die Jury: Norbert Hornig

Kammermusik

L’Aurore

Eugéne Ysaÿe: Sonata Nr.5 op.27; George Benjamin: Three Miniatures; Hildegard von Bingen: Spiritus sanctus vivificans vita; George Enescu: Fantaisie concertante; Johann Sebastian Bach: Partita Nr.2 BWV 1004. Carolin Widmann. ECM 2709 (Universal)

Mit der Frage »Was will ich wirklich sagen mit meinem Instrument?« hat sich die Geigerin Carolin Widmann zuletzt intensiv beschäftigt. Ihre CD »L’Aurore« ist als Antwort zu verstehen. Sie verbindet Klassiker der Solo-Literatur wie Bachs d-Moll Partita oder die fünfte Solo-Sonate von Ysaÿe mit der Entdeckung einer bemerkenswerten Rarität von Enescu und auch einer einfachen Melodie von Hildegard von Bingen. Widmann reflektiert Lebensfragen durch diese Werke, durch ihre Art sie zu spielen, sie spürt dem Kreislauf des Lebens nach. Die Aufnahme wirkt sehr unmittelbar, da sie nur wenige Schnitte enthält; eine mutige, ehrliche Entscheidung im Sinne eines intensiven Ausdrucks. Für die Jury: Susann El Kassar

Kammermusik

The Clarinet Trio Anthology

Werke u.a. von Louise Farrenc, Michail Glinka, Johannes Brahms, Max Bruch, Vincent d’Indy, Alexander von Zemlinsky, Nino Rota, Wolfgang Rihm. Daniel Ottensamer, Christoph Traxler, Stephan Koncz. 7 CDs, Decca 2894857375 (Universal)

Drei befreundete Spitzenmusiker haben die Lockdown-Sperre famos genutzt: Sie probten sich einmal quer durch die Geschichte des Klarinettentrios, von Beethoven bis Widmann. 27 Stücke haben sie dann eingespielt: nur Originalwerke, keine Arrangements! Was bemerkenswert ist insofern, als Klarinettist Ottensamer (Wiener Philharmoniker) und Cellist Koncz (Berliner Philharmoniker) nebst Pianist Traxler mit ihrer Band »Philharmonix« bisher eher Spaß am Arrangieren zeigten. Nun erweitern sie, ebenso lustvoll, das Repertoire. Sogar 30 Sekunden unbekannter Schönberg tauchen auf in dieser Überraschungsbox, auch zu Unrecht Vergessenes wie das vierteltönige Trio von Isang Yun. Für die Jury: Eleonore Büning

Tasteninstrumente

Johann Sebastian Bach: Das Wohltemperierte Klavier

Band 1 BWV 846-869. Schaghajegh Nosrati. 2 CDs, CAvi 8553509 (Bertus)

Mit glasklarer, fast pedalloser Prägnanz schafft Schaghajegh Nosrati eine wunderbare, lebendige Balance zwischen struktureller Logik und der tieferen Schicht wechselnder emotionaler Profile. Es entsteht ein faszinierendes Wechselspiel zwischen Pulsschlag und Konstruktion, zwischen Bewegung und Architektur. Die junge Pianistin nähert sich so ohne esoterischen Klimbim und spirituellen Nebel, dafür mit stets fließenden, zielgerichteten Tempi der eigentlichen »nackten« Wahrheit dieser Sternbilder, die sie in schnörkelloser Klarheit als echte polyphone Interaktion in Gang setzt, so dass man in den Fugen den Verlauf jeder Einzelstimme als lebendige menschliche Klangrede erlebt. Für die Jury: Attila Csampai

Tasteninstrumente

Liszt. The Friend and Paragon

Orgelwerke von Carl Müller-Hartung, Johann Gottlob Töpfer, Bernhard Sulze, Salomon Jadassohn, August Gottfried Ritter. Anna-Victoria Baltrusch. Audite 97.792 (Note 1)

Diese herausragende Aufnahme widmet sich dem lange vernachlässigten Repertoire im Umkreis von Franz Liszt. Selbiges wird hier in jeder Hinsicht vorbildlich mit Orgelwerken von Töpfer, Sulze, Jadassohn und anderen aus der sonst alles überstrahlenden Aura des Lisztschen Œuvres ans Licht befördert. Anna-Victoria Baltrusch hat sich mit der alten Orgel der Zürcher Tonhalle nicht nur ein zeitlich bestens für dieses Repertoire geeignetes Instrument ausgesucht. Sie nutzt seine klanglichen Facetten mit ihrem hochmusikalischen Spiel auch in jeder Hinsicht exemplarisch aus. Und das gelingt ihr in überragender Weise. Für die Jury: Guido Krawinkel

Oper

Claudio Monteverdi: L’Incoronazione di Poppea

Hanna Blažíková, Kangmin Justin Kim, Marianna Pizzolato, Gianluca Buratto, Carlo Vistoli, Anna Dennis, Lucile Richardot, Monteverdi Choir, English Baroque Soloists, John Eliot Gardiner. DVD/Blu-ray, Opus Arte OA1346D / OABD7297D (Naxos)

Selten galt das Leise, galten Zwischentöne in der Oper so viel wie in diesem DVD-Mitschnitt von »L’incoronazione di Poppea«, dem letzten Teil von John Eliot Gardiners reisender Monteverdi-Trilogie aus dem Jahr 2017. Mit den vielfarbig besetzten English Baroque Soloists entfaltet Gardiner das Menschen- und Gesellschaftspanoptikum des alten Rom aus altmeisterlich ruhiger Übersicht. Ein in allen Rollen charakteristisch besetztes Sängerensemble realisiert Sprachnuancen mit einer glühenden Verinnerlichung, der die halbszenische optische Umsetzung völlig genügt. Für die Jury: Michael Stallknecht

Oper

Nikolai Rimski-Korsakow: Der Goldene Hahn (»Solotoi petuschok«)

Dmitry Ulyanov, Nina Minasyan, Andrei Popov, Nina Minasyan, Margarita Nekrasova, Mischa Schelomianski, Orchestre et Chœurs de l’Opera National de Lyon, Daniele Rustioni, Regie: Barrie Kosky. DVD/Blu-ray, Naxos 2110731/NBD0150V

Es schmeckt. Der zerrupfte Hahn hat die Augäpfel des Zaren verspeist. Nikolai Rimsky-Korsakows Regierungssatire »Der goldene Hahn« ist als Frontalangriff auf die Obrigkeit von packender Aktualität. Barry Koskys Russland an der Opéra de Lyon ist ein staubgraues Post-Tschernobyl. Zar Dodon im verfleckten Feinripp peilt gar nichts, selbst als er die Köpfe seiner nichtsnutzigen Söhne herumkickt. Einzig die Königin von Schemacha macht als Verführerin alle kirre. Dystopisch, surreal, kafkaesk ist das. Ein Endspiel jeglicher Staatsraison, toll gesungen, furios dirigiert von Daniele Rustioni. Für die Jury: Manuel Brug

Chor und Vokalensemble

Michael Gielen – Szymanowski, Penderecki

Karol Szymanowski: Stabat Mater op.53, Krzysztof Penderecki: Dies irae, Threnody to the Victims of Hiroshima. Elena Mosuc, Annette Markert, Anton Scharinger, Ewa Izykowska, Zachos Terzakis, Stephen Roberts, Chorus sine nomine, Wiener Konzertchor, ORF Radio Symphonie Orchester Wien, Michael Gielen. Orfeo C210311 (Naxos)

Die Anfang 2000 entstandene Aufnahme von Szymanowskis polnischem Stabat mater aus dem ORF-Archiv bündelt postum das Wirken des Dirigenten Michael Gielen. Ein Meisterwerk jenseits ausgetretener Repertoire-Pfade, ausmusiziert, so wie Gielen ausmusizierte, was immer er aufs Pult bekam – sinnliche Zuchtmeisterei, wuchernde Transparenz, schwelgerische Askese. Chor und Orchester des Österreichischen Rundfunks folgen geschmeidig, kraftvoll, wuchtig, aber nicht über Gebühr pathetisch. Das gilt selbst für die Beigaben aus Pendereckis bester Zeit. Und was die Tontechniker in beiden Fällen leisteten, macht die üppige Orfeo-CD auch klanglich zum Kleinod. Für die Jury: Peter Korfmacher

Alte Musik

Heinrich Ignaz Franz Biber: Sonatae Violino Solo 1681, Vilsmayr Sonata

Plamena Nikitassova, Les Élémens. 2 CDs, cpo 555 481-2 (JPC)

Plamena Nikitassova gehört zu den wenigen Musikern, die ihre Technik punktgenau auf die jeweilige Literatur abstimmen. Im vorliegenden Fall heißt das, dass sie die Geige tief unter dem Schlüsselbein hält und einen sehr kurzen Bogen benutzt, der mit dem Daumen unter (nicht über) dem Frosch gehalten wird. Das Ergebnis ist einerseits eine kantige Artikulation, andererseits ein sehr prägnanter Klang, der sich deutlich von der Ästhetik späterer Zeiten abhebt. Dadurch kommt die Charakteristik von Bibers Violinsonaten mit ihren anspruchsvollen Doppel-, Tripel und Quadrupelgriffen, weiten Sprünge der linken Hand und diffizilen Aufgaben für die rechte hervorragend zur Geltung. Für die Jury: Matthias Hengelbrock

Zeitgenössische Musik

Heiner Goebbels: A House Of Call

My Imaginary Notebook. 2 CDs, ECM 2728/29 (Universal)

»A House of Call« kann man mühelos als Kondensat des disparaten Gesamtwerks von Heiner Goebbels begreifen, eine Sammlung von Klangeindrücken, die der stets wache Komponist auf Reisen, bei Recherchen und in Begegnungen gesammelt hat. Es geht durch Zeiten und Regionen. Goebbels, nie zimperlich, was die Fülle seiner Inspiration angeht, adelt die Fundstücke in seinen Überschreibungen, erhöht ihre Intensität, überlagert sie mit überbordender Raffinesse im Klang, mit rhythmischen Aberwitzigkeiten und, Rätseln. Im Grunde sind die zwei Stunden wie ein Hörfilm voller aufgekratzter Erlebnisse, voller Widersprüche und deshalb irrsinnig modern. Für die Jury: Egbert Tholl

Das Album gewann sowohl in der Jury Zeitgenössische Musik als auch in der Jury Grenzgänge.

Historische Aufnahmen

Gieseking – The first Columbia recordings

Claude Debussy: Préludes Band I & II, Deux Arabesques, Réverie, Suite bergamasque u.a.. Walter Gieseking. 2 CDs, apr APR 6040 (Note 1)

Zwei Monate vor Veröffentlichung der 48 CDs umfassenden Warner-Edition »Walter Gieseking. His Columbia Grammophone Recordings« ist beim britischen Historic-Label apr eine kleine CD-Kollektion seiner ersten Debussy-Aufnahmen aus den 1930er-Jahren erschienen. Im Vergleich zu den berühmten, seit Jahrzehnten den Maßstab setzenden Einspielungen aus den 1950er-Jahren, kommen diese frühen Versionen dem Klang-Ideal des Pianisten noch näher: »Ätherische Verfeinerung«, ohne an Fülle und Wärme zu verlieren. Das muss man gehört haben, zumal in den exzellenten Remasterings von Andrew Hallifax und Mark Obert-Thorn. Für die Jury: Thomas Voigt

Musikfilm

The Beatles: Get Back

Blu-Ray Collector’s Set. Regie: Peter Jackson, Michael Lindsay-Hogg. 3 Blu-rays, Apple BVSC-00004A (Disney Deutschland)

Ein lustloser John Lennon kränkt mit zynischen Bemerkungen, George Harrison möchte die Beatles am liebsten gleich verlassen, nur Paul McCartney kämpft für die Gruppe, bewirkt durch seinen rechthaberischen Führungsstil aber das Gegenteil. Verkrampft, ja destruktiv ist die Stimmung zu Beginn der »Get Back«-Sessions. Doch nach Krisensitzungen und dem Umzug in die Apple Studios taut die eisige Atmosphäre auf, und wir erleben das legendäre »Dach-Konzert«. Kaum jemals zuvor ist das Innenleben einer Band so ungeschminkt ausgeleuchtet worden, konnte man die Geburt von Rock-Klassikern so hautnah miterleben. Für die Jury: Andreas Kunz

Foto: © 2022 Disney Apple Corps Limited

Jazz

Julia Hülsmann Quartet: The Next Door

ECM 2759 (Universal)

Lyrische Stimmungen, denen man versunken nachhören kann, finden sich auf diesem Album ebenso wie emotional mitreißende Passagen. In dichter Interaktion mit ihrer Band spannt Julia Hülsmann einen Bogen zwischen pianistischer Zurücknahme und vorwärts drängender Dynamik. Schon bei ihrer letzten CD in der Besetzung mit dem Bassisten Marc Muellbauer und dem Schlagzeuger Heinrich Köbberling bestand kein Zweifel, dass die Hinzunahme des Tenorsaxophonisten Uli Kempendorff mehr bedeutete als die Erweiterung des Trios durch einen Special Guest. Nun aber gelingt dem Quartett ein miteinander verflochtenes Spiel von geradezu zauberhafter Leichtigkeit. Für die Jury: Bert Noglik

Weltmusik

Kolínga: Legacy

DL/CD/2 LPs, Underdog Records UR 838051 (Broken Silence)

Südfranzösische Provinz. Die Sängerin Rébecca M’Boungou blättert in ihrem multikulti-Leben. Dabei umgibt sie gedämpfter Fusion-Pop mit kongolesischen Anleihen, Keyboards, Gitarren, Schlagzeug, Bläsern und vielen Breaks. Ihre Stimme weht, mitunter als Chor. Verwundet ertönt »In den Augen aller Männer suche ich nach der Liebe, die Du mir nie gabst«. Es heißt über sie: Was der kongolesische Vater liegen ließ, gab ihr die alleinerziehende Mutter, eine (weiße) Tänzerin im Nationalballett der DR Kongo. Die Band Kolínga berührt mit »Legacy« episch. Wispern in einem stimmigen Gruppenbild mit Charakter. Für die Jury: Johannes Theurer

Traditionelle Ethnische Musik

Misagh Joolaee, Sebastian Flaig: Qanat

CD/DL, Pilgrims Of Sound 0098931636306 (Direktvertrieb)

Qanat – dieses Wort zu googeln lohnt sich, auch wenn man es auf reine Musikalität bezieht: Es bezeichnet ein uraltes Bewässerungssystem, UNESCO-Welterbe. Eine Quelle des Lebens, Inspiration, unglaubliche Tonkaskaden, feinstufige Ornamente. Zaubereien eines klagenden und jauchzenden Streichinstrumentes. Misagh Joolaee korrespondiert mit den fabelhaften Rhythmen, die elektrisch geladenen Fingern zu entspringen scheinen. Sebastian Flaig hat interkulturelle Perkussion in Leipzig und Istanbul gelernt, er amalgamiert sie mit melodischen Formeln aus der Volksmusik Khorasans oder aus den verborgenen Schächten iranischer Klassik. Das Ergebnis ist ein faszinierendes Dokument intensiver westöstlicher Dialoge. Für die Jury: Jan Reichow

Liedermacher

Nur meine Lieder

Weggefährten und Liedgenossen singen Christof Stählin. Grosche, Max Prosa & Claudia Fink, Dietlinde Ellsässer, Reinhard Mey, Sebastian Krämer, Bodo Wartke, Linard Bardill, Joana Emetz & Barbara Thalheim, Thomas Felder & Johanna Zeul, Holger Saar, Manfred Maurenbrecher u.a.. Buschfunk 08422

Was für ein Werk! Allein schon wegen der – auf einer CD versammelten – Künstlerinnen und Künstler wie Reinhard Mey, Manfred Maurenbrecher, Bodo Wartke, Barbara Thalheim mit Joana, Max Prosa, Sebastian Krämer oder Johanna Zeul, u.a. zusammen mit ihrem Vater Thomas Felder. Diese Namen garantieren eine außergewöhnliche Vielfalt der Interpretationen von Songs aus fast der gesamten Schaffenszeit des Jubilars Christoph Stählin, der dieses Jahr 80 geworden wäre. Die CD ist eine würdige Würdigung des »Wortmagiers, Universalgelehrten und Philosophen, Dichters, Schriftstellers, Essayisten, Kabarettisten, Sprachforschers, Musikers, Poesielehrers« (Liederpoet Holger Saarmann). Für die Jury: Petra Schwarz

Folk und Singer/Songwriter

Kim Carnie: And so we gather

CD/DL, Cárn 880992153287 (Direktvertrieb)

Es ist die Stimme, die diese CD so besonders macht. Kim Carnie, »gälische Sängerin des Jahres 2021« singt in einer besonderen Mischung aus samtenen und leicht rauchigen Tönen, gepaart mit ein wenig Jungmädchenhaftigkeit. Dieser Klang passt wunderbar zu den sechs gälisch-traditionellen und vier englischsprachigen Stücken, letztere ausnahmslos Eigenkompositionen mit Ohrwurmcharakter. Dazu kommt eine 30köpfige Helferschar aus der ersten Liga der schottischen Musikszene unter der Führung von Produzent Donald Shaw, und dann weiß man, dass da ganz und gar nichts schief gehen kann. Für die Jury: Mike Kamp

Rock

Jack White: Entering Heaven Alive

CD/LP, Third Man Records TMR 753 (Membran)

Nur drei Monate nach seinem letzten Album »Fear Of The Dawn« veröffentlichte Jack White »Entering Heaven Alive« – diesmal statt mit experimentierfreudigem Noise vor allem mit Balladen. Dabei lehnt er sich an so ziemlich alle Größen der 60er- und 70er-Jahre an, egal ob Doors, Beatles oder Led Zeppelin. Mit Akustikgitarre oder am Klavier schafft White, der mit seinen Bands White Stripes, Raconteuers oder Dead Wheather schon immer exzessive Spielfreude bewies, vergleichsweise sanfte Blues- und Folksongs. Ein wunderschönes Album, auf dem es – natürlich! – vor allem um die Liebe geht. Für die Jury: Juliane Streich

Hard und Heavy

Blind Guardian: The God Machine

CD/2 LPs/DL, Nuclear Blast NB5755-0 (Rough Trade)

Mit »The God Machine« gelingt Blind Guardian das Kunststück, sich erneut frisch zu präsentieren und zugleich jene Fans wieder mitzunehmen, die in den zurückliegenden zwei Dekaden nicht jeder Weiterentwicklung etwas abgewinnen konnten. So heftig und geradeaus wie in »Violent Shadows« klangen die Krefelder lange nicht mehr, während »Secrets Of The American Gods« auf Drama und große Melodien setzt, und sich in »Destiny« die verspielt-verqueren Elemente Bahn brechen. Weniger symphonisch und mit klarem Fokus auf Riffs und Refrains, vereint ihr elftes Studioalbum das Beste aus allen Blind-Guardian-Welten zwischen Power und Progressive Metal. Für die Jury: Sebastian Kessler

Club und Dance

Emeka Ogboh: 6°30’33.372”N 3°22’0.66”E

DL/2 LPs, Danfotronics DNFTRNX001 (Direktvertrieb)

Die Bewegung, die der nigerianische Klangkünstler Emeka Ogboh auf seinem zweiten Album beschreibt, folgt scheinbar anderen Regeln als denen des Tanzes. Mit Field Recordings von der Ojuelegba-Bushaltestelle in Lagos verarbeitet er das Treiben eines Ortes, der als der belebteste der Stadt gilt; schon Afrobeat-Pionier Fela Kuti widmete 1975 Ojuelegba sein Album »Confusion«. Ogboh kombiniert ruhig fließenden tribalistischen Beat mit einer hallenden Collage aus Verkehrslärm, Stimmen und elektronischen Effekten zum tönenden Stadtporträt im Kleinen, dessen Rhythmus man mit dem Körper folgen kann. Für die Jury: Tim Caspar Boehme

Electronic und Experimental

Ludger Brümmer: Spheres Of Resonance

2 CDs, Wergo WER 2077 2 (Naxos)

Unweigerlich entstehen Bilder vor dem inneren Auge. Die Werke von Ludger Brümmer führen in Klangräume von hypnotischer Aura. Brümmer, der am Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) wichtige Innovationen zur Klangerzeugung schuf, zählt zu den bedeutendsten Komponisten für Computermusik. Alle Titel dieser Doppel-CD wurden mit bis zu 42 Kanälen für die Wiedergabe über ein Raumklang-Environment produziert. Mit »Spheres of Resonance« bietet Wergo ein Kaleidoskop an Beispielen für Brümmers Methoden der Granularsynthese etwa von Alter Musik und Physical Modelling. Faszinierend perfekt und schön. Für die Jury: Isabel Steppeler

Blues

Tedeschi Trucks Band: I Am The Moon

Episode I-IV: Crescent, Ascension, The Fall, Farewell. 4 CDs, Concord/Fantasy Records FAN01572 / FAN01679 / FAN01681 / FAN01683 (Universal)

Im Mai 2020 riet Sänger Mike Mattison seinen Kolleginnen und Kollegen von der Tedeschi Trucks Band: »Lest ‚Leila und Madschnun’«. Das persische Liebesepos aus dem 12. Jahrhundert hatte 1970 schon Derek & The Dominos zum Album »Layla and other assorted lovesongs« inspiriert. Die Tedeschi Trucks Band fragte sich nun, wie wohl Leilas Perspektive in der Geschichte gewesen sein könnte. Das Ergebnis: »I am the moon« erschien als vierteiliger Album-Zyklus mit insgesamt 24 Songs, gemeinsam von der Band geschrieben. Eine tiefe musikalisch-emotionale Reise durch ein uraltes Sujet. Ein Meisterwerk! Für die Jury: Tim Schauen

Kinder- und Jugendaufnahmen

Adam Silvera: More happy than not

Jonas Minthe. mp3-CD, Hörcompany ISBN 978-3-96632-067-2

Aarons Welt ist aus den Fugen seit dem Selbstmord seines Vaters. So sehr, bis er sich auch umbringen will. Familie und Kumpels sind keine Hilfe, wohl aber die empathische Freundin Genevieve. Doch seine wirklichen Gefühle gelten dem neuen Freund Thomas. Schwul sein in der Bronx? Absolut verboten! Gleichermaßen fasziniert wie betroffen begleiten wir Aaron (und sein kongeniales Alter-Ego, den Sprecher Jonas Minthe) auf seiner Achterbahnreise, an deren vorläufigem Ende er Verantwortung für sich und seine Gefühle, auch gegen Widerstände, übernimmt. Die überzeugende Lesung des Debütromans von Adam Silvera ist ein absoluter Gewinn: spannend, ehrlich und immer wieder überraschend. Für die Jury: Carola Benninghoven

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